1Kor 9,27
S.Keller
1. Kor. 9, 27: «... daß ich nicht den andern predige und
selbst verwerflich werde.»
Ärzte und Armenpfleger sollen im Lauf der Jahre durch den
täglichen Anblick menschlichen Elends so abgestumpft werden,
daß kaum noch etwas Mitleid erregt. Gefahren des Berufs!
Ist aber der Beruf, ein Zeuge Jesu zu sein, nicht der
allergefährlichste? Man hat ununterbrochen anderer
Seelenheil im Auge und keine Zeit für sich selbst. Man
gewöhnt sich, den anderen, den man bekehren möchte, zum
Sündenbewußtsein zu bringen und erliegt da sehr leicht zwei
Gefahren. Entweder überhebt man sich bei solcher Arbeit
selbst und hat kein Interesse oder Verständnis für die eigene
Sünde, oder man sieht im Nächsten nur den Gegenstand unserer
Arbeit und tut ihm als Menschen und Bruder unrecht.
Tüchtige Reichsgottesarbeiter sind bisweilen unausstehlich
im Umgang; sie vertragen keinen Widerspruch; sie tun in
der Unterhaltung und im brüderlichen Verkehr, als wären
die anderen alle ihre Patienten aus der Sprechstunde.
Berufsfehler, die sich wie Scheidewassertropfen ätzend und
verletzend in den schönsten Glanz des Eifers um das Haus des
Herrn einfressen. Wer sollte sich nicht fürchten, solchen
Gefahren zu erliegen? Wer sollte sich im Blick darauf nicht
flüchten in die Arme dessen, der uns vor jedem Fehltritt
bewahren möchte?
Herr Jesu, du kannst Mitleid haben mit deinen angefochtenen,
gefährdeten Dienern. Nimm dich unser herzlich an und
entsündige uns von diesen Schulden. Reinige, bewahre und
segne uns! Amen.