1Kor 4,5
S.Keller
1. Kor. 4, 5: «Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der
Herr kommt.»
Bis dahin nicht richten! Oh, wie wäre das so schön! Und
doch ist das nicht nur so ein frommer Wunsch des Apostels,
wie wenn ein Kind seufzt: ,,Ach, daß doch alle Tage
Sonnenschein wäre!«, sondern es ist eine berechtigte Mahnung.
Jetzt ist die Zeit zum Einladen und Werben; wenn Jesus
wiederkommt, ist die Zeit zum Richten. Er wird solches
Gericht vollziehen; was mischst du dich in sein Vorrecht,
indem du jetzt über deinen Bruder zu Gericht sitzest, ob
er ,,entschieden" oder ,,mit dem Geist getauft" sei? Dein
Urteilsspruch hat soviel Kraft wie das Lallen unmündiger
Kinder; wozu belastest du mit einer solchen unnützen Sache
dein Gewissen und des Bruders Herz. Lehrer und Führer der
Unmündigen müssen freilich wachen, ob sich nicht eine
seelengefährliche Lehre einschleichen will. Aber davon ist
hier nicht die Rede, sondern von dem unberufenen, lieblosen
Aburteilen über den Nächsten, worin viele ihre vornehmste
Stärke haben. Wenn wir Gläubigen frei wären von solcher
üblen Unart des Richtens, brauchte der Herr nicht so manche
Demütigung über uns kommen zu lassen. Wollen wir schon
durchaus richten, so lasset uns ein jeder sich selbst
richten. Das hat eine Verheißung.
Lieber Heiland, vergib uns all unser liebloses, voreiliges
Richten und mache den Schaden gut, den wir damit etwa schon
angerichtet haben. Schenk uns tragende, schweigende Liebe
zu den Brüdern aus deinem Schatz von Liebe. Amen.