Röm 12,18
C.O.Rosenius
Ist es möglich, soviel an euch ist, so habt mit allen
Menschen Frieden. Römer 12, 18.
Dieser Vers handelt von einem nachgiebigen, friedfertigen
Wesen in allen menschlichen Dingen, d. h. in all den
Fragen, in denen wir nicht wegen der Wahrheit, wegen
der Treue gegen die Sache Christi und das Heil der Seelen
gegen die Menschen streiten müssen. Denn, daß wir in den
Glaubenssachen nachgeben und die Wahrheit, die Ehre Christi
und das Wohl der Seelen preisgeben sollten, um Frieden und
Freundschaft mit allen Menschen zu haben, diese Forderung
lag dem Apostel ganz fern. Eine solche Einschränkung der
Ermahnung hat er auch mit den ersten Worten ,,Ist es möglich"
angedeutet.
Es wird also nicht immer möglich sein, Frieden mit allen
Menschen zu halten, wenn wir Gott und der Wahrheit treu sind.
Das erfuhr schon David, wenn er sagt: ,,Ich halte Frieden;
aber wenn ich rede, so fangen sie Krieg an." Die ganze Welt
streitet gegen Gott und Sein Reich. Wenn ich nun ein treuer
Bekenner Christi sein will, werde ich unvermeidlich in
Gegensatz zu den Menschen geraten. Christus erklärt dies so
stark und so entscheidend mit den Worten: ,,Meint ihr, daß
Ich hergekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage:
Nein, sondern Zwietracht. Denn von nun an werden fünf in
einem Haus uneins sein, drei wider zwei, und zwei wider drei.
Es wird sein der Vater wider den Sohn und der Sohn wider den
Vater; die Mutter wider die Tochter und die Tochter wider die
Mutter; die Schwiegermutter wider die Schwiegertochter und
die Schwiegertochter wider die Schwiegermutter." Darum
spricht der Herr Christus auch: ,,Wehe euch, wenn euch
jedermann wohlredet."
Hier offenbart sich also die Falschheit des Christentums
derjenigen, die sich so nach allen Menschen richten, daß
sie wegen ihres Eifers für Christus nie in einen Gegensatz
geraten, ja, die den Eifer der Gläubigen tadeln und meinen,
wenn diese mehr Weisheit, Demut und Milde beobachteten, dann
würden sie der Welt gefallen können. Möchten sie doch
bedenken, daß der Herr Christus, der Vollkommene, der
,,sanftmütig und von Herzen demütig" war, dennoch nie
der Welt gefallen, nie Frieden und Freundschaft mit den
Ungläubigen haben konnte. Gewiß können auch die Christen der
Liebe, der Weisheit und der Demut ermangeln; daß sie aber in
ihrer Treue gegen die Sache Christi noch der Welt gefallen
könnten, das streitet gegen die Wahrheit. Nein, ihr
Treulosen: ,,Wißt ihr nicht, daß der Welt Freundschaft Gottes
Feindschaft ist?" Hierin liegt die unvermeidliche Ursache zum
Streit. Der Apostel sagt aber ferner: ,,Soviel an euch ist,
so habt mit allen Menschen Frieden." Wenn ihr - infolge der
Feindschaft der Welt gegen die Wahrheit - wirklich um Christi
willen in Streit geratet, so laßt euch das nicht beunruhigen.
- Sieh nur zu, O Christ, daß keine fleischliche Ursache zum
Streit bei dir vorliegt, wie zum Beispiel Eigensinn,
Unwilligkeit, Tadelsucht oder ähnliches deiner Natur.
Derartiges bei sich zu finden, ist wegen
der Neigung zur Eigenliebe, die sich immer zu rechtfertigen
und die Schuld auf andere zu schieben sucht, eine sehr
schwere Kunst. Doch es gibt auch einen Prüfstein, durch den
du möglicherweise den Grund deines Streites mit den Menschen
merken kannst, wenn du nämlich genau darauf achtgibst, wie es
mit der Liebe in deiner Rede bestellt ist. Wenn du durch
solche Reden oft in Streit kommst, zu denen du nicht von der
Liebesunruhe für die Seelen und mit Gebet um Segen gedrungen
wurdest, sondern wenn diese Reden sehr leicht über die Lippen
fließen, dann wirst du allerdings einen fleischlichen Grund
bei dir beargwöhnen müssen. Der Eifer, alles berichtigen zu
wollen, was du für unrichtig hältst, ist kein genügender
Beweis dafür, daß du von der Liebe getrieben wirst. Wenn
du aber auch für diejenigen zu beten pflegst, zu denen du
redest, und wenn du dich vor deiner eigenen Untauglichkeit
zu fürchten beginnst, dann bezeugt dies, daß du von einem
heiligen Beweggrund getrieben wirst.
Viele Menschen sind unglückliche Märtyrer eines beständigen
Unfriedens mit den Menschen wegen einer eigensinnigen,
häßlichen Laune und einer unruhigen Zunge. Darum sagt, wie
zuvor David, auch der Apostel Petrus: ,,Wer leben will und
gute Tage sehen, der schweige seine Zunge, daß sie nicht
Böses rede, und seine Lippen, daß sie nicht trügen ..., er
suche Frieden und jage ihm nach." Möchte Gott uns die
Hinterlist unseres Herzens offenbaren!
Allein, wenn wir noch so friedfertig, fügsam und freundlich
sind, wird es uns doch kaum möglich sein, immer Frieden mit
allen zu haben. Denn nicht nur aus Feindschaft gegen
Christus, sondern auch wegen vieler irdischer Dinge werden
streitsüchtige Menschen uns beunruhigen. Darum sagt der
Apostel: ,,Soviel an euch ist, so habt mit allen Menschen
Frieden." Auch wenn also andere dich, dein Eigentum, deine
Person, deinen guten Ruf angreifen, so darfst du doch weder
selbst streiten noch Anlaß zum Streite geben, sondern mußt
deine Sache deinem treuen, allmächtigen Vater anheimstellen,
der immer für die Elenden und Unterdrückten sorgt.
Darum sprach auch der Herr Christus: ,,Selig sind die
Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen." Wer
immer selbst für sein Recht streiten will, der wird viel
leiden und viel verlieren müssen. Glücklich die Christen,
die der Fürsorge ihres himmlischen Vaters so glauben, daß sie
Ihm die Verteidigung ihrer Sache ganz überlassen! Wenn ich
selbst meine Sache verteidigen will, kann Gott gerechterweise
mir dies überlassen, dann aber geht es immer schlecht. Wenn
ich dagegen die Sache Gott anheimstelle, dann wird sie die
Seinige, dann wird Er sie verteidigen, und dann tut Er das
immer in der besten Weise.
Wie schwinden derer Tag in Frieden,
Die recht versteh'n, was Gott befahl,
Den Nächsten wie sich selbst zu lieben
Und Gott, den Herrn, allüberall,
Die Gut's mit Bösem nicht vergelten,
Nein, Böses nur mit Gutem lohn'n,
Die Rache still anheim nur stellten
Dem mächt'gen Vater und dem Sohn.