Röm 8,35
C.O.Rosenius
Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Röm. 8, 35
nach dem Grundtext.
Hier kommt der Apostel der Hauptsorge der Kinder Gottes wegen
ihres Verbleibens in der Liebe Christi entgegen. Er hatte
uns vorher über die Besorgnis wegen der Beschuldigungen
des Gewissens und der Furcht vor Gottes Zorn mit der
gegenwärtigen Gnade getröstet. Jetzt wendet er sich gegen
die Bekümmernisse wegen der vielen Gefahren für das
geistliche Leben und will uns dessen vergewissern, daß nichts
von allem, was uns während der Wanderung jemals widerfahren
kann, uns von der Liebe Christi zu scheiden vermag. Und wie
zuvor, so stellt er auch hier wieder seinen Trost in dem
triumphierenden Ton einer Frage dar.
,,Wer will uns scheiden von der Liebe Christi?" Die Frage
bezeichnet einen starken Glauben und eine große Zuversicht
des Apostels. Sie regt dazu an, darüber nachzudenken,
inwiefern wir von der Liebe Christi geschieden werden
könnten. Hier wird uns eine ausführliche, trostreiche
Antwort gegeben. Aber eine solche Bekümmernis pflegt die
Gläubigen zu beunruhigen, und sie brauchen diesen Trost. Wir
dürfen nicht denken, der Apostel hätte etwas geschrieben, um
nur seine eigene Zuversicht zu zeigen, nicht aber in der
Absicht, etliche solche Trostbedürftige damit zu trösten. -
Es ist eine allgemeine Besorgnis aller wahren Gläubigen, ja,
ein kennzeichnendes Merkmal der wahren Gnade in den Herzen,
daß sie wegen des Verbleibens in der Liebe Christi besorgt
sind. Es genügt ihnen nicht, für die Gegenwart Trost zu
haben und in der Gnade Gottes zu sein, sondern sie denken
auch an das Verbleiben darin bis an das Ende.
Es ist ein gutes Zeichen, wenn du deine Schwachheit und
Unbeständigkeit sowie die Hindernisse und die Macht der
Feinde so lebhaft empfindest, daß du deines teuren Schatzes
beraubt zu werden befürchtest, obwohl es eine Schwachheit
deines Glaubens ist, wenn du in der Treue und der Stärke
deines Gottes keinen entsprechenden Trost hast. Die Furcht
aber ist ein gutes Zeichen, denn sie deutet nicht nur an, daß
du deine Schwachheit und die Macht der Feinde empfindest,
sondern daß auch die Gabe selbst dir unentbehrlich wurde.
Denn so ist ja die Natur des Herzens, daß wir, je nachdem
uns etwas teuer und unentbehrlich ist, Angst und Furcht haben,
es zu verlieren. Wenn ich einen kleinen Schatz zu verwahren
habe, dann bin ich gewiß nicht in allzu großer Furcht
vor Dieben. Ist der Schatz aber groß, z. B. eine hohe
Geldsumme, dann meine ich, daß alle Diebe dies wissen
würden, und dann halte ich zur Aufbewahrung keinen Raum
für sicher genug. Wer in dieser gefahrvollen Welt seinen
Seligkeitsschatz niemals zu verlieren befürchtet, wird dessen
Wert auch nicht sehr hoch schätzen. Ein besseres Zeichen
ist es, wenn du einen besonderen Geist der Furcht hast, ein
Gemüt, das fast beständig einen Betrug oder eine geistliche
Gefahr befürchtet, und wenn du, wie ein alter Lehrer
schreibt, ,,gleichsam von Todesangst ergriffen wirst, wenn du
dir den Fall denkst, daß du eines Tages die Gottesfurcht und
den Glauben aus deinem Herzen verlieren würdest". Solches
zeugt von einem Werk des Geistes an der Seele, das dir deinen
Gnadenstand recht teuer und unentbehrlich machte. Diejenigen
aber, die um die Gnade Gottes bekümmert sind, sollen mit ihr
getröstet werden. Das ist eine Hauptregel im ganzen Wort
Gottes. Nach ihr handelt der Apostel auch hier. Gerade
diejenigen, die sich fürchten, will er trösten; ihnen
versichert er hier, daß sie einen solch mächtigen,
getreuen Herrn und Beschützer haben, daß nichts sie von
Ihm zu scheiden vermögen wird. Viele mächtige Feinde und
Hindernisse werden sich uns zwar in den Weg stellen; ,,aber
in dem allen überwinden wir weit um deswillen, der uns
geliebt hat."
Die Liebe Christi! Die Gnade, von der uns nichts zu scheiden
vermögen wird, bezeichnet hier der kurze, aber inhaltsreiche
Ausdruck ,,die Liebe Christi", d.h. nicht unsere Liebe zu
Christus, sondern Seine Liebe zu uns, wie es der Zusammenhang
zeigt. Denn in dem unmittelbar vorhergehenden Vers hat der
Apostel beschrieben, was Jesus für uns getan hat und noch
tut. Was will es denn heißen, von der Liebe Christi
geschieden zu werden? Ganz ohne Zweifel bedeutet es, von der
persönlichen Teilhaftigkeit an der Liebe Christi, also vom
Gnadenstand geschieden zu werden. Im Gnadenstand ist die
Liebe unsere ganze Seligkeit. Nicht nur, daß wir durch die
Liebe Christi alles das empfingen, was zum Leben und zur
Seligkeit gehört - des Vaters ewige Gnade, die Freiheit von
aller Verdammung, den Heiligen Geist in unserem Herzen, die
Kindschaft und das Erbrecht im Himmel -, sondern sie ist es
auch, die schon hier den größten Schatz und die Seligkeit
aller Gläubigen bildet. Der echten Braut gilt die Liebe
des Bräutigams mehr als alle Seine Gaben und Schätze. Ein
Gläubiger spricht darum mit Asaph: ,,Herr, wenn ich nur
Dich habe, dann frage ich nichts nach Himmel und Erde." Er
wird auch daran erkannt, daß seine Besorgnis, wenn er sich
verging, zumeist in der Furcht besteht, seinen Herrn erzürnt
und Seine Liebe verloren zu haben. Darum ist der Ausdruck
,,die Liebe Christi" einem gläubigen Herzen entnommen.
Nun sagt der Apostel: ,,Wer will uns scheiden von der Liebe
Christi?" Wie zuvor bemerkt wurde, liegt schon im Ton der
Frage die trostvolle Gewißheit, daß niemand und nichts uns
von dieser Liebe zu scheiden vermögen wird. Wir müssen es
einen großen, göttlichen Trost nennen, daß wir einen so
getreuen und mächtigen Herrn haben, der uns in allen
Versuchungen und Gefahren beistehen und uns glücklich
hindurchhelfen wird, wenn wir Ihn anrufen - auch wenn wir
nicht den Trost erhalten, den unser altes Herz gern haben
will, nämlich, nicht mehr in solcher Gefahr zu schweben, daß
wir es täglich nötig hätten, den Herrn anzurufen und von Ihm
abzuhängen. Gepriesen sei der Herr! Wir haben in Seiner
Treue und Allmacht doch immer Trost, wenn wir ihn brauchen.
Und nur so ist der Trost, den der Herr uns geben will.