Röm 8,15
A.Christlieb
Ein Geist der Kindschaft
Römer 8, 15
»Ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir
rufen: Abba, lieber Vater!«
Wie wichtig ist doch die gründliche Untersuchung der
Kennzeichen des Heiligen Geistes! Die Einwohner zu Samaria
glaubten von Simon, dem Zauberer, in ihm wirke »die Kraft
Gottes, die da groß ist« (Apg. 8, 10). Sie täuschten sich.
Ähnlich täuschen sich auch heute viele in ihrer Begeisterung
für allerlei Erscheinungen, die sie mit echten Wirkungen des
göttlichen Geistes verwechseln. Woran erkennt man den
Heiligen Geist in seiner Wirklichkeit? Er ist ein
»kindlicher Geist«: »ein Geist der Kindschaft«. Was heißt
das?
Von Luther sagt eine Lebensbeschreibung, es sei merkwürdig
gewesen, wie in ihm zugleich ein Geist der Kraft und ein
Geist kindlicher Schlichtheit gewohnt habe. Das war ganz in
der Ordnung. Denn eben weil er ein Mann voll Heiligen
Geistes gewesen ist, war er so wunderbar kindlich. Der
Heilige Geist ist ja ein »kindlicher Geist«. Was bedeutet
dieser Ausdruck aber im einzelnen?
1.
Ein kindlicher Geist ist ein Geist der Unterordnung. Ein
Kind steht bei aller Liebe, die es genießt, doch unter den
Eltern und muß ihnen folgen und gehorchen. So ist ein
Kindschaftsgeist kein frecher, hoher Geist, der glaubt, sich
auf Grund seiner Stellung allerlei anmaßen zu dürfen. Er ist
kein Geist falscher, kühner Selbständigkeit, sondern ein
Geist, der sich vom Vater droben abhängig weiß.
2.
Ein kindlicher Geist ist aber auch ein sehr vertraulicher
Geist, der sich ganz getrost in des Vaters Arme hinein wirft,
der sich vom Vater geliebt weiß und sich ihm allezeit zu
nahen getraut. Ja, der Heilige Geist macht innig vertraut
mit dem himmlischen Vater. Er läßt uns rufen: »Abba, lieber
Vater!«
3.
Der »kindliche Geist« oder - wie man auch übersetzen kann -
der »Geist der Sohnesstellung« ist ein Geist froher Zuversicht
im Blick auf den Reichtum, den der Vater im Himmel seinen
Kindern anvertraut. Er nimmt getrost an, was der Vater im
Gleichnis Luk. 15, 31 zu dem älteren Sohn spricht: »Mein
Sohn, alles, was mein ist, das ist dein!«
Röm. 8, 17 heißt es: »Sind wir denn Kinder, so sind wir auch
Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi.« Gott will
anzeigen »in den zukünftigen Zeiten den überschwenglichen
Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus
Jesus« (Eph. 2, 7). Darüber freut sich der Gläubige, der
den Geist der Sohnesstellung hat. Damit ist er nicht nur auf
das Jenseits vertröstet, er hat schon hier »keinen Mangel
an irgend einer Gabe« (1. Kor. 1, 7) und wartet auf die
Vollendung und Krönung aller Gaben seines Herrn in der
Herrlichkeit, wenn »wir ihn sehen, wie er ist« (1. Job. 3,
2).
A.Christlieb
Kein knechtischer Geist
Römer 8, 15
»Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen.«
Was bedeutet »knechtischer Geist« - »Geist der Knechtschaft«
(wie es wörtlich heißt)? Denken wir uns hinein in die Lage
eines Negersklaven der vorigen Jahrhunderte. Was wird solch
ein Mensch in seiner Lage besonders drückend empfunden haben?
1. Verlust der Freiheit
Ein Sklave leidet unter dem Verlust der Freiheit. Das Wort
»knechtischer Geist« deutet auf einen Zustand der
Unterdrükkung. So etwas gibt es nicht im Herzen der
Gläubigen! Wenn der Heilige Geist von einem Herzen Besitz
ergriffen hat, bekommt der betreffende Mensch durchaus nicht
das unangenehme Gefühl, er dürfe sich nun nicht mehr frei
bewegen. Vielmehr erfährt er jetzt die Wahrheit des Wortes:
»Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit« (2. Kor. 3,
17).
Die Welt irrt sehr, wenn sie wähnt, man verlöre durch die
Bekehrung seine Freiheit. Das wäre nur dann der Fall, wenn
der Heilige Geist ein knechtischer Geist wäre, der seine
Freude an Vergewaltigung hat. Das ist aber Satans Art. Wo
Gottes Geist hinkommt, da hört man den Jubel der Errettung:
»Unsre Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Strick des
Voglers. Der Strick ist zerrissen, und wir sind los« (Ps.
124, 7).
2. Herabgesetzt
Ein Sklave mit knechtischem Geist fühlt sich ständig
herabgesetzt und verächtlich gemacht. Knechtsgeist würde
einem Menschen zum Bewußtsein bringen, daß er seinem Herrn
nicht gleichgestellt ist. Er ließe ihn empfinden, daß ihm
die Ehre der Kinder des Hauses abgeht.
Wäre der Geist Gottes ein knechtischer Geist, der uns nur
unsere Niedrigkeit fühlen ließe, so wäre er ein Quälgeist.
Nun aber ist der Heilige Geist nicht ein knechtischer Geist,
sondern ein Geist der Kindschaft, der uns zusichert, daß wir
»Gottes Hausgenossen« (Eph. 2, 19), ja Jesu »Brüder« (Hebr.
2, 11) sind.
3. Immer in Furcht
Knechtsstellung ist drückend, weil sie in fortwährende Furcht
hineinbringt. Vor dem Sklaven steht immer die bange Frage:
»Werde ich den Zorn meines Herrn erregen? Werde ich Strafe
bekommen?«
Der Heilige Geist ist aber kein knechtischer, Furcht
erregender Geist, der uns Angst vor Gottes Zorn einflößt,
sondern der Heilige Geist weckt uns Lust und Freude am Willen
Gottes in unsern Herzen, so daß wir eine große Seligkeit
darin finden, unserm Gott gehorsam zu sein. Wir sprechen
dann mit dem Psalmisten: »Deinen Willen, mein Gott, tue ich
gern« (Ps. 40, 9).
A.Christlieb
Kindlicher Geist ist Gebetsgeist
Römer 8, 15
»Ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir
rufen: Abba, lieber Vater!«
Nun wollen wir einmal sehen, wie der Geist der Kindschaft zum
rechten Beten führt.
1.
Der Pfingstgeist ist Gebetsgeist. Wenn uns ein Geist zur
Sünde treibt, zu Zorn, Haß, Neid und böser Lust, so ist das
gewiß nicht der Heilige Geist. Wenn aber ein Trieb zum Gebet
in uns gewirkt wird, dann dürfen wir gewiß sein, das kommt
vom Heiligen Geist. Der Pfingstgeist treibt zum Beten. Wer
den Pfingstgeist hat, dem ist keine Sache so wichtig wie das
Beten. Kein Umgang mit Menschen ist ihm so wichtig wie der
Umgang mit Gott, dem Herrn, im Kämmerlein.
2.
Der Geist Gottes treibt uns an zu k r ä f t i g e m Gebet.
Das liegt in den Worten: »Durch den Geist rufen (wörtlich:
>schreien< ) wir: Abba, lieber Vater!« Das ist mehr als
einfaches Hersagen einer Bitte, als das »Sprechen eines
Gebetes«. Unser Heiland hat einst»in den Tagen seines
Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen
geopfert« (Hebr. 5, 7). Paulus hat um Befreiung von dem
»Pfahl im Fleisch« dreimal »gefleht« (2. Kor. 12, 7 f.).
Durch Gottes Geist werden wir kräftige Beter. Er treibt
zu inbrünstigem Flehen.
Weiter: Der Heilige Geist treibt uns zu a n h a l t e n d e m
Gebet. Der Ausdruck: »durch welchen wir rufen« bezeichnet
ein gegenwärtiges, ständiges Handeln. Wir werden immer aufs
neue zum Rufen getrieben. O dieses Beten als Gegenwart, als
tägliches und beständiges Tun! »Sie blieben. .. im Gebet«
(Apg. 2, 42). »Abraham blieb stehen vor dem Herrn« (1.
Mose 18, 22). Das waren Geisteswirkungen.
Endlich: Der Geist leitet an zu v e r e i n t e m Gebet.
Während Paulus zuerst sagt: »1 h r habt einen kindlichen
Geist empfangen«,fährt er fort:». . . durch welchen wir
r u f e n.« Er schließt sich und alle Christen mit ein.
Der Geist Gottes bildet eine wunderbare Vereinigung der
Beter. Wenn jemand Gesellschaft liebt, die gut ist und
bleibend befriedigt, so muß er ein wahrer Beter im Geist
werden; dann ist er mit allen Himmelspilgern in wunderbarem
Verein. Sie alle werden von e i n e m Geist angetrieben, zu
rufen. Der Gnadenthron Christi schafft die herrlichste
Verbindung hier auf Erden: die Betgemeinde Christi.
Wohl allen, in denen durch den Heiligen Geist das kräftige,
anhaltende, vereinte Gebet gewirkt wird!
3.
Wie werden wir der rechten Gebetskunst teilhaftig? Der Text
sagt: »D u r c h w e l c h e n (wörtlich: >in welchem<) wir
rufen: Abba, lieber Vater!«
Es gibt ein Beten im eigenen Geist. Das ist ein gar traurig
Ding. Da bringt man es fertig, im »Gebet« andern zu
predigen, andere belehren oder bestrafen zu wollen. Es gibt
aber auch ein Beten »im Geist«. Da sucht man die rechte
Verbindung mit Gott. Da betet der Geist. O wie anders
klingt solch Beten im Geist als ein geistloses Gebet! Wir
wollen darauf acht haben, welcherlei unser Gebet ist! Wenn
wir vom Geist getrieben beten, dann ist Kraft, Ausdauer und
Segen in unserm Gebet.
A.Christlieb
Der Inhalt des geistgewirkten Gebetes
Römer 8, 15
durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater!«
Es gibt verkehrte Gebete. Sogar Elia, der geistesmächtige
Beter, hat ein solches gebetet: »Es ist genug, so nimm
nun, Herr, meine Seele« (1. Kön. 19, 4)! Im Geist der
Verzagtheit bat er um die Beendigung seines Lebens, und Gott
hatte doch noch so viele Aufträge für ihn. Bei Paulus aber
vernehmen wir hier das rechte, geistgewirkte Gebet. Es ist
befaßt in dem e i n e n Wort:
»Abba, lieber Vater!« O was schließt der Name »Abba« »Vater«
alles in sich! Einen Vater liebt man, man vertraut ihm, man
gehorcht ihm. Der Geist Gottes legt vielerlei Gebete in das
Herz der Gläubigen. Aber dieser eine Ausruf ist der innigste
Ausdruck für alles, was der Geist Gottes uns je flehen heißt.
Daran erkennt man den rechten Geist, daß er uns also beten
lehrt.
1. Vater, du liebst mich!
In dem Wort »Abba, lieber Vater!« liegt die Überzeugung:
»Vater, du liebst mich.« Ja, diese Überzeugung wirkt der
Heilige Geist. Der faule Knecht im Gleichnis hielt Gott für
einen harten Mann (Matth. 25, 24). Der Schlangengeist sagte
schon zu Adam: »Gott liebt euch nicht so recht. Er will euch
das Beste vorenthalten. Wenn ihr aber auf mich hört, dann
gewinnt ihr das, was euch Gott nicht gönnt, und ihr werdet
sein wie Gott« (1. Mose 3, 5). Solche falschen Geister
widerlegt Gottes Geist und macht gewiß:
»Gott hat mich lieb!«
O selige Überzeugung! Wieviel Trost lag doch für Josephs
Brüder in dem Gedanken: »Unser Bruder zürnt uns nicht mehr,
er hat uns lieb« (1. Mose 45, 15). Welche Seligkeit brachte
dem verlorenen Sohn die Überzeugung: »Mein Vater liebt mich«
(Luk. 15, 20)! Damit hatte er genug.
Wie ist Vaterliebe so stark! David liebt Absalom, obwohl
dieser sein Schwert gegen ihn erhoben hatte (2. Sam. 19,
1). Der Vater des verlorenen Sohnes läuft seinem Kind
entgegen (Luk. 15, 20). Jakob hat genug, wenn er nur Joseph
noch einmal sehen darf (1. Mose 45, 28). Abraham ist nicht
der einzige, von dem es heißt: »Nimm deinen Sohn, den du
liebhast« (1. Mose 22, 2) Aber größer als alles ist die
Vaterliebe Gottes, die Jesus dahin gibt für uns. Davon
überzeugt der Heilige Geist. O öffnet euch ihm!
2. Vater, du versorgst mich!
Der Heilige Geist, der »Abba« rufen läßt, ist niemals ein
Sorgengeist. Er ist ein Kindesgeist, der alle Sorgen dem
Vater überläßt. Wieviel ist das wert!
Als die Brüder Josephs aus dessen Munde das für ihren Vater
Jakob bestimmte Wort hörten: »Ich will dich versorgen« (1.
Mose 45, 11), da wußten sie: »Die Hungersnot kann steigen,
wie sie will, für uns ist gesorgt.« Als Mephiboseth, der Sohn
Jonathans, an den Tisch des Königs David gesetzt wurde (2.
Sam. 9, 7), war alle Not für ihn behoben. Als der Vater des
verlorenen Sohnes seinem Kinde gegenüber wieder rechte
Vaterstelle einnehmen konnte, da hat er den Sohn nicht nur
umarmt, sondern ihn auch mit Speise und Kleidung versorgt
(Luk. 15, 22 f.).
Und wenn Gottes Wort sagt: »So jemand seine Hausgenossen
nicht versorgt, der ist ärger denn ein Heide« (1. Tim. 5,
8), sollte der große Hausvater droben im Himmel für seine
Kinder weniger tun?
3. Vater, du erziehst mich!
Der Vater ist Erzieher. Gott sagt von Abraham: »Ich weiß, er
wird befehlen seinen Kindern, daß sie des Herrn Wege halten«
(1. Mose 18, 19). Von Jakob lesen wir, er habe den Seinen
befohlen, die Götzen herzugeben (1. Mose 35, 2). Die
Rechabiter sind ein Beispiel dafür, wie ein Vater die Seinen
erziehen kann zur Enthaltsamkeit (Jer. 35).
Väter können aber auch ernsthaft strafen. Hebräer 12, 7 sagt
davon: »Wo ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt?« In
Hebr. 12, 9 f. lesen wir: »So wir haben unsere leiblichen
Väter zu Züchtigem gehabt und sie gescheut, sollten wir denn
nicht viel mehr untertan sein dem Vater der Geister, daß wir
leben? Denn jene haben uns gezüchtigt wenig Tage nach ihrem
Dünken; dieser aber zu Nutz, auf daß wir seine Heiligung
erlangen.
Auch wenn Gott erzieht, wenn vielleicht seine Rute schlägt,
lehrt der Heilige Geist die Seinen sprechen: »Abba, lieber
Vater!«