Röm 8,13
C.O.Rosenius
Wo ihr nach dem Fleische lebet, so werdet ihr sterben müssen.
Röm. 8, 13.
Hier spricht der Apostel kurz und bündig das Urteil über alle
diejenigen aus, die nach dem Fleisch leben. Er will damit
vor allem die zur Besinnung rufen, die unter dem Vorwand der
Freiheit des Evangeliums den Lüsten des Fleisches folgen
wollen. Denn der Apostel redet hier zu einer Christenschar.
Er will sie, wenn möglich, aus dem irrigen Wahn erwecken,
damit sie nicht statt des Lebens und der Gnade, deren sie
sich rühmen, den ewigen Tod erleiden. Er will sagen: Es
geziemt sich keineswegs, daß ihr, die ihr jetzt aus der Sünde
und dem Tod errettet und der Gnade Christi teilhaftig seid,
euren früheren fleischlichen Lebenswandel fortsetzt; wenn ihr
das tut, sollt ihr nicht denken, daß ihr das Leben behalten
und selig werden könnt, sondern ihr müßt dann im ewigen Tod
enden. Das Verdienst Christi soll wahrlich nicht denen
zugutekommen, die in ihren Sünden bleiben wollen. Jesus hat
sich in den Tod dahingegeben, um denen zu dienen, die gern
von ihren Sünden befreit sein wollen, sich aber nicht selbst
von ihnen befreien können.
Hier ist es nun erforderlich, etwas bestimmter zu fassen, was
das heißen will, nach dem Fleisch zu leben. Gewöhnlich will
das Herz diese Frage nach seinem eigenen Zustand deuten, so
daß Heuchler meinen, daß es nur einen groben Lebenswandel in
offenkundigen Lastern bezeichnen soll, während dagegen ernste
und bange Christen befürchten, daß jede Schwachheitssünde
diesen Wandel nach dem Fleisch bedeute. Zudem ist man
bei der Auslegung dieses Wortes oft auch schwankend und
unvorsichtig gewesen, was besonders gefährlich ist, wenn
es sich um Leben und Tod handelt, wie es hier der Fall ist.
Was wird denn damit gemeint, ,,nach dem Fleische zu leben"?
Zunächst merken wir, daß mit dem Fleisch keine bestimmte
Sünde oder Lust, sondern unsere ganze verdorbene Natur
gemeint wird, so wie sie durch die Geburt von Vater und
Mutter herkommt. Christus spricht: ,,Was vom Fleisch geboren
wird, das ist Fleisch." Aber jetzt sagen einige: Nach dem
Fleisch zu leben heißt, dem Fleisch Freiheit zu geben und
das zu tun, was ihm gelüstet. Das aber ist so unbestimmt
ausgedrückt, daß es gar leicht mißverstanden werden kann.
Es gibt kaum einen Gottlosen, der nicht in irgendeiner Weise
gegen sein Fleisch streitet; er würde dann denken können: Ich
gebe dem Fleisch nicht alle Freiheit, lebe also demnach nicht
nach dem Fleische. Andererseits gibt es keinen gläubigen
Christen, der nicht mit Reue bekennen müßte, daß er sich auch
in Wort und Tat versündigt. Das aber setzt ja immer voraus,
daß das Fleisch einige Freiheit erhält. Deshalb ist hier
ein bestimmterer Begriff erforderlich. Diejenigen, die mit
christlichem Verständnis diesen Spruch gründlicher deuteten,
haben oft gesagt: ,,Der Apostel will sagen, daß die Christen,
wenn sie unachtsam werden und dem Fleische Raum geben,
dadurch geistlich sterben können, indem die Sünde entweder
Schlaf und Verhärtung oder Unglauben und Verzweiflung
bewirkt."
Dies ist gewiß eine christliche Deutung, und doch ist ohne
Zweifel eine andere die richtigere. Die Worte des Apostels
sind nämlich viel bestimmter als die ebengenannte Auslegung.
Unachtsam zu sein und dem Fleische Raum zu geben, ist zwar
furchtbar gefährlich, ist aber noch nicht das gleiche, wie
nach dem Fleische zu leben; die Worte ,,so müßt ihr sterben"
bezeichnen nach der Redeweise des Apostels nämlich etwas mehr
als dieses, daß ihr geistlich sterben könntet. Wir finden an
anderen Stellen der Schrift, an denen der Apostel diese
drohende Sprache an die Christen richtet und das eigentliche
Todesurteil verkündigt, daß er von dem ewigen Tod als von
der Sünde Sold redet. Gerade diese Redeweise des Apostels
ist der wichtigste Erklärungsgrund. So heißt ,,nach dem
Fleische zu leben" auch nicht, sich nur zufällig zu vergehen,
sondern ein Leben zu führen, das mit dem Fleisch oder der
gefallenen Natur übereinstimmt.
Nach dem Fleisch zu leben, muß also dasselbe bedeuten wie
,,nach dem Fleisch zu wandeln", nämlich sowohl der Gesinnung
als auch dem Wandel nach der gefallenen Natur zu folgen. Nun
wissen wir, daß der Abfall zuweilen nach der rechten Seite
hin oder zur Eigengerechtigkeit und zu den Werken des
Gesetzes geschieht, wie es der Abfall der Galater deutlich
macht, von denen der Apostel sagt: ,,Ihr habt Christus
verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt,
und seid von der Gnade gefallen." Und gerade von diesem Fall
sagt er: ,,Im Geist habt ihr angefangen, wollt ihr es nun im
Fleisch vollenden?" (Gal 3:3)
Zuweilen aber geschieht der Abfall nach der linken Seite hin
in die Unreinheit der Sünde, wovon Paulus sagt, daß die, die
einst ,,dem Unflat der Welt durch die Erkenntnis des Herrn
und Heilandes Jesus Christus entflohen sind, wiederum in
denselben verflochten und überwunden sind." Sie haben jetzt
einen falschen Trost für die Sünde gesucht und angefangen,
,,mutwillig" in derselben zu leben, wie Judas. Dann haben
sie dieselben Merkmale wie dieser, daß sie nicht mehr dem
Herrn ihre Sünde bekennen und Erlösung suchen, sondern ihrer
Sünde huldigen und sie verteidigen. Oder aber sie leben in
einer geheimen Verzweiflung, weil sie ,,ein gutes Gewissen
von sich gestoßen und am Glauben Schiffbruch erlitten haben",
so daß sie nicht mehr am Gnadenthron leben. Solches alles
heißt, ,,nach dem Fleische zu leben", und ist etwas ganz
anderes, als zufällig ,,von der Sünde Gesetz in den Gliedern
gefangengenommen zu werden", während der Geist noch gegen die
Sünde kämpft und ,,Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn,
danken" kann.
Ach, laß das Herz nicht wieder sterben!
Es Ist uns ja Dein Wort bekannt:
Sie sollen nimmermehr verderben;
Wer reißt sie Mir aus Meiner Hand?
Erfülle das, o Hirte, hier
An uns; und jeder ruft: An mir!
C.O.Rosenius
Wo ihr durch den Geist des Fleisches Geschäfte tötet,
so werdet ihr leben. Röm. 8,13.
Der Apostel zeigt uns hier die rechte Siegeskraft über das
Fleisch zum Trost und zur Anleitung für alle diejenigen, die
ihre eigene Schwachheit und Ohnmacht im Streite fühlen. Um
die mächtigen Lüste des Fleisches zu überwinden und zu töten,
ist etwas anderes als nur menschliche Kraft erforderlich, wie
auch Luther bemerkt, der von dem Töten des Fleisches durch
den Geist sagt, daß wir in den Versuchungszeiten ,,uns
erinnern sollen des Wortes Gottes und auch durch den Glauben
an die Vergebung der Sünden uns dagegen stärken sollen." O,
daß wir alle daran denken könnten, wenn es sehr übel mit uns
steht, wenn wir jegliche Kraft im Streite vermissen und nur
das Fleisch mächtig fühlen, so daß wir oft fallen und uns
vergehen und es uns scheint, als ob Gott tot und aus der
Welt verschwunden sei. Dann ist es an der Zeit, mit unserem
eigenen Streiten aufzuhören und uns zum Hören der Gnade
Gottes in Christus und an das Evangelium und alle
Gnadenmittel zu wenden, um unseren gestörten Glaubensfrieden
aufzurichten, jeglichen Gedanken an unsere eigene Kraft oder
unsere Schwachheit fahren zu lassen und nur eine einzige
Frage zu stellen: ,,Gott, erhalte ich Deine Gnade, Deine
Vergebung für alles?"
Auf diese Frage müssen wir eine bestimmte Antwort haben,
bevor wir Kraft empfangen können. Hier aber gilt es, die
Antwort nicht im Gefühl, sondern im Wort Gottes zu suchen.
Und wenn du jetzt Trost empfängst, daß Gott dein Freund
und Vater ist, dann überlaß Ihm auch die Sorge für die
Überwindung deiner Versuchungen. Denn dies ist das Geheimnis
der Siegeskraft. Solange du selbst etwas tun zu können
meinst, wirst du unausgesetzt fallen. Der Eifer des Herrn um
die Verherrlichung Seiner Gnade ist so groß, daß Er lieber
unseren schönsten Wandel zunichte werden läßt, als daß
Seine Ehre der Kreatur gegeben würde. Die Schlußlehre aller
unserer Kämpfe zur Tötung unseres Fleisches ist die, daß der
Herr allein der ist, der die Macht dazu hat, und daß der Herr
der ist, der es auch tut, und zwar so, daß Er in uns einen
armen Geist sowie Glauben, Willigkeit und Gebet bewirkt,
damit wir dieses alles bei Ihm suchen möchten. Und wenn es
dahin gekommen ist, daß wir im Glauben alle Gnade und Kraft
von Ihm herzlich wünschen, dann führt Er Sein Werk zur Tötung
unseres Fleisches bestimmt hinaus, wie immer Er uns nun auch
führen mag. Wenn Er unser Gebet erhört und uns Gnade und
Kraft gibt, aller Gottlosigkeit und allen weltlichen Gelüsten
zu entsagen, dann wird unser Fleisch getötet. Entzieht Er
uns aber Seine Kraft und überläßt Er uns der Sichtung des
Satans, dann wird unser Fleisch auch getötet, dann wird das
Innerste des alten Menschen, nämlich der tiefe Wahn unserer
eigenen Kraft, getötet.
Die Geschäfte des Fleisches, die getötet werden sollen, sind
allerlei Äußerungen des innewohnenden Verderbens, das sich
in unsere Gedanken, in Worte und Handlungen hineinmischt, so
daß es an Gelegenheiten zur Tötung des Fleisches nie fehlt.
In Gal. 5 wird eine Anzahl ,,der Geschäfte des Fleisches"
angeführt. Wenn du auch nicht zu groben Sünden versucht
wirst, so hast du doch gegen tiefen Eigensinn, gegen
Eigendünkel, Eigenwillen und eigene Ehrsucht beständig zu
wachen. Dieses feinere, innere Verderben wird zwar eher
vergessen als das äußere und gröbere, ist aber doch die
eigentliche Quelle alles Bösen. Darum ist hier eine
besonders ernste Aufmerksamkeit vonnöten.
Bedenke oft und tief, daß das, was du selbst denkst, willst
und meinst, das erste ist, wogegen du Argwohn hegen mußt und
was am Wort Gottes geprüft und durch die Kraft des Geistes
getötet werden muß. Wenn du z. B. zum Zorn und zur
Ungeduld gegen die Menschen versucht wirst, dann gilt
es, sich dessen zu erinnern, wieviel Gott dir vergibt und
wie du deshalb deinem Nächsten vergeben mußt. Du wirst
vielleicht wegen deiner Erkenntnis, deiner Gelehrsamkeit,
Geschicklichkeit und Kunst zum Hochmut versucht; sei dann
dessen eingedenk, daß ,,Gott den Hoffärtigen widersteht, den
Demütigen aber Gnade gibt." Du wirst vielleicht zu unreinen
Begierden versucht; dann mußt du dessen eingedenk sein, daß
du ein heiliger Tempel Gottes bist, der nicht verunreinigt
werden darf. Zuerst und zuletzt aber bedenke, daß du in der
ewigen Gnade und Gemeinschaft Gottes bist und es dir deshalb
geziemt, würdig vor Ihm zu wandeln. Du wirst vielleicht zum
Geiz und zum Eigennutz versucht; bedenke dann, daß du ein
Himmelserbe bist, der nach dem trachten soll und muß, was
droben ist.
Hier ist ein beständiges Töten des Fleisches nötig, was uns
oft ein bitteres Leiden verursacht und darum eine unendliche
Geduld erfordert. Selig aber die Menschen, die hierin bis
ans Ende aushalten! Sie sind Gottes Kinder und Himmelserben.
Es wird gewiß oft bitter schwer, ist aber vor Gott dem Herrn,
den Engeln und den Heiligen ein lieblicher Anblick, wenn
z. B. ein junger Mensch, der die Welt und ihre Lust sehr
liebte, jetzt um des Herrn willen allem entsagt; oder wenn
ein Kind, das von Natur sehr eigensinnig war, jetzt gegen
sich ankämpft und seinen eigenen Willen dem Willen Gottes und
dem der Eltern unterwirft; oder wenn ein Mensch, der sehr zum
Hochmut und zur Eitelkeit neigte, jetzt durch die Zucht des
Geistes anspruchslos, schlicht und einfach geworden ist. Ja,
welch ein schöner Anblick, wenn der Stolze und Jähzornige
sich selbst zu züchtigen anfängt, um mild, demütig und
sanftmütig zu sein. Wenn der Mensch um der Gnade willen,
seiner Natur schnurstracks zuwider, so gegen sich selbst
zu kämpfen anfängt, dann heißt das ,,durch den Geist die
Geschäfte des Fleisches zu töten".
Und solche Menschen werden leben, sagt der Apostel. Sie
werden den Himmel einnehmen, sie werden nach einer kurzen
Zeit der Tötung des Fleisches mit den Engeln und den Heiligen
in einer unendlichen Seligkeit das ewige Leben bei Gott und
Seinem Christus genießen.