Röm 8,10
C.O.Rosenius
So Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der
Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit
willen. Röm. 8, 10.
Hier könnte gefragt werden: ,,Weshalb sollen die Gläubigen
sterben, da Gott ihnen doch ihre Sünden vergeben hat, und da
der Tod ja eine Strafe der Sünde ist?" Antwort: Der Tod der
Gläubigen darf nicht dafür angesehen werden, auch nur im
geringsten die vollkommene Genugtuung Christi oder unsere
volle Freiheit von dem Fluch des Gesetzes zu verkleinern.
Ihr Tod ist nicht eine der rächenden Gerechtigkeit gemäße
Strafe. Für alle, ,,die in Christus Jesus sind", sind der
Tod und alle Leiden nur heilsame Reinigungsmittel in ihres
Vaters Hand, nur Glaubensprüfungen, Läuterungen des Geistes
und Vernichtung aller Feinde und Fesseln. Alles wird ihnen
zum Besten dienen. Das hat der Tod Christi ausgerichtet,
durch den das ganze Gesetz Gottes sein volles Recht erhält,
und durch den ein neuer Bund aufgerichtet wurde, demzufolge
alle, die in Christus Jesus sind, von dem Tod als dem Lohn
der Sünde und von allem Fluch des Gesetzes befreit sind. Für
sie ist der Tod ,,verschlungen in den Sieg", und ihr Todestag
ist nicht eine Strafe der Sünde, sondern im Gegenteil zum
Erlösungstag vom Tod und von allem Elend verwandelt. Das
Grab ist ihnen ein heimlicher Gang zum Paradiese Gottes. Das
in die Erde Bestattetwerden ihrer Leiber ist eine Saat für
jenes Leben. Gleichwie die in die Erde gelegte Herbstsaat
im nächsten Sommer in einer neuen, verjüngten und schönen
Gestalt dastehen wird, so daß sie nicht verloren ist, während
sie in der Erde liegt, in derselben Weise sind die Leiber der
Gläubigen durch den Tod nicht vernichtet, sondern nur in die
Erde gelegt, um in neuen, schöneren Gestalten aufzuerstehen.
,,Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich;
es wird gesät in Unehre und wird auferstehen in Herrlichkeit;
es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft;
es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein
geistlicher Leib."
Kann ein solcher Tod wohl eine Strafe der Sünde oder ein
Fluch des Gesetzes genannt werden? Im Gegenteil: Er ist eine
übergroße Gnade und ein Segen. Sein Zweck und sein Nutzen
für die Leiber der Wiedergeborenen ist der, die in ihnen
wohnende Sünde auszurotten und zu töten; sie müssen sterben,
um ganz gereinigt zu werden. Das Gift der Sünde hat ihre
Leiber so durchdrungen und verderbt, daß sie wie die
Aussätzigenhäuser in Israel niedergerissen und erneuert
werden müssen, um rein zu werden. Und gleichwie das
Weizenkorn nicht lebendig wird, bevor es in die Erde fällt
und erstirbt, so müssen auch unsere Leiber sterben und im
Staube verwesen, um recht lebendig und heilig zu werden.
Jetzt könnte man wohl einwenden: ,,Diejenigen, die bei der
Wiederkunft des Herrn leben, werden nie sterben, sondern in
einem Augenblick verwandelt; weshalb könnte der Herr nicht
mit allen Seinen Gläubigen so handeln und sie schon hier in
einem Augenblick verwandeln, so daß sie nicht zu sterben
bräuchten?" Hierauf kann nur geantwortet werden: Gott ist
weiser als die Menschen. Wie vieler tiefen, heilsamen Lehren
und Eindrücke wären wir beraubt, wenn der Tod uns nicht mehr
vor Augen stände. Die Gläubigen bedürfen ja der ganzen Hilfe
gegen die Sünde. Durch die Gewißheit des Todes wird nicht
nur dem fleischlichen, weltlichen Sinn gewehrt, sondern es
wird uns neben der Güte Gottes auch Seine Strenge gezeigt -
Gottes Strenge und Haß gegen die Sünde, indem Er, der Gott
des Lebens und der Seligkeit, um der Sünde willen den Tod
in die Welt kommen ließ, und Seine Güte, Seine herzliche
Barmherzigkeit, indem Er Seinen Sohn in unseren Tod dahingab,
um dessen Stachel abzubrechen und ihn in einen guten Schlaf
zu verwandeln. Solange die Sünde in der Welt ist, ist der
Tod eine Wohltat für die Gläubigen. Sie bedürfen noch zu
flehen: ,,Herr, lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen,
auf daß wir klug werden!"
Schließlich sollen die Gläubigen auch deshalb sterben, weil
sie in allen Dingen ihrem Haupte nachfolgen sollen. Er
starb, sollten wir, Seine Glieder, von dieser Ordnung
ausgeschlossen sein? Es ist ein großer Trost: Wenn wir
sterben, folgen wir unserem Herrn und Heiland, der uns diesen
Weg vorangegangen ist. Und wenn die Natur dennoch stets die
Art hat, vor dem Tod zu schaudern (wie es auch viele Heilige
erfahren haben), dann ist es sehr notwendig und sehr heilsam,
daß gläubige Menschen tief bedenken und immer wieder dessen
eingedenk bleiben, daß sie in Gottes Hand sind, in den Armen
ihres getreuen Vaters und Heilandes, ohne dessen Willen nicht
ein Haar von ihrem Haupte umkommen soll. Wenn auch der Tod
eine erschreckende Gestalt hat, so ist es dennoch ihr
bekannter, sie zärtlich liebender Heiland, der im Tod zu
ihnen kommt. Es ergeht uns im Tode, wie es den Jüngern
erging, als sie im Schiffe waren und Jesus auf dem Wasser
zu ihnen kam. Sie erschraken und riefen: ,,Es ist ein
Gespenst!" Jesus aber sprach zu ihnen: ,,Seid getrost! Ich
bin es, fürchtet euch nicht." - Er, der uns bisher mit so
großer Huld beschützt hat, wird auch im Tod Seine Lieben
nicht verlassen und uns nichts geschehen lassen, was Seine
Liebe nicht vorschrieb. Durch den Tod wird Er uns das geben,
wonach wir solange seufzten, nämlich die Erlösung von allem
Übel, eine vollkommene Heiligkeit, Ruhe und Sicherheit. Wir
werden niemals mehr gegen Ihn sündigen; niemals mehr wird
unser Glaube von der Finsternis bedrückt, niemals mehr vom
Teufel angefochten werden. Niemals mehr werden wir unseren
Heiland vermissen, sondern Ihn dann im Paradiese Gottes
sehen, wie Er ist. Während wir auf Erden arm, furchtsam und
unruhig waren, werden wir dann in unser himmlisches Erbreich,
in die ewige Ruhe eingeführt werden.
Dann werden uns're Tränen Herr, stille unser Sehnen
Ein Meer voll Freude sein. Und hole uns bald heim!