Röm 4,6
C.O.Rosenius
Die Seligkeit ist allein des Menschen, welchem Gott zurechnet
die Gerechtigkeit ohne Zutun der Werke. Röm. 4, 6.
Dieser Spruch sagt uns in klaren, bestimmten Worten, daß ein
Mensch vor Gott gerecht sein kann, obwohl er noch mit Sünden
zu kämpfen hat. Hier wird nämlich ausdrücklich gesagt: Wenn
Gott einen Menschen gerecht macht, geschieht dies nicht in
der Weise, daß Er die Sünde aus seinem Wesen tilgt und ihn
in sich selbst sündenfrei macht, sondern es geschieht durch
Zurechnung. Unsere Rechtfertigung geschieht so, daß Gott
dem Menschen eine Gerechtigkeit zurechnet, die nicht bei
ihm gefunden wird, und Er ,,vergibt" ihm damit die in ihm
vorhandenen Sünden und ,,deckt sie zu." Da etlichen das Wort
,,gerecht machen" mißverständlich sein könnte, gebraucht
der Apostel hier stattdessen das Wort ,,Gerechtigkeit
zurechnen". Sodann erklärt er dasselbe selige Werk mit den
Worten Davids, daß nur der Mensch selig ist, ,,welchem seine
Ungerechtigkeiten vergeben und seine Sünden bedeckt sind",
und daß der Mann selig ist, ,,welchem Gott die Sünden nicht
zurechnet".
Bedenke nun, wenn der Mensch selig ist, ,,dem Gott die
Gerechtigkeit ohne Zutun der Werke zurechnet" und dem Er
die Sünden nicht zurechnet, so ist ja damit gesagt, daß die
Gerechtigkeit nicht bei dem seligen Menschen vorhanden ist,
denn sonst brauchte sie ihm nicht ,,zugerechnet" zu werden.
Andererseits bedeutet dies auch, daß Sünden bei dem seligen
Menschen vorhanden sind, da von diesen gesagt wird, sie
würden ihm ,,nicht zugerechnet", sondern ,,bedeckt". Dies
ist nun die große Hauptlehre der ganzen Schrift, die in allen
Verkündigungen Gottes von dem Mittleramt Christi und von der
Zurechnung Seiner Gerechtigkeit liegt. Hier haben wir sie
in kurzen, bestimmten Ausdrücken, die mit einem Male jene
falsche Meinung ganz niederschlägt, daß wir in uns selbst
sündenfrei würden. Der Apostel sagt hier ausdrücklich: Gott
macht uns in der Weise gerecht, daß Er uns Gerechtigkeit
zurechnet, ohne daß wir hier auf Erden in uns selbst gerecht
oder sündenfrei sind oder werden, so daß die Sünden darum
,,vergeben", ,,bedeckt" werden müssen.
Wir sind also nicht in der Weise gerecht, daß die Sünde aus
unserem Wesen getilgt sei und wir in unserer eigenen Person
das Gesetz vollkommen erfüllt hätten, sondern dies ist durch
,,Zurechnung" geschehen. Möchten wir nun nicht in den ebenso
großen Irrtum auf der entgegengesetzten Seite fallen und
denken, daß Gott uns für gerecht ansähe, obwohl wir es nicht
wirklich sind. Gelobt sei der Name des Herrn! Wir sind
wirklich gerecht durch Ihn! Solange es uns nicht geschenkt
wurde, die Vollkommenheit des Wesens Gottes recht zu sehen,
träumen wir noch von einer Rechtfertigung, bei der Gott durch
eine Art Minderung der Härte Seiner heiligen Gebote und
Urteile uns für gerecht gelten ließe, ohne daß wir das
besitzen, was ,,Gerechtigkeit" bedeutet, nämlich eine ganze
Erfüllung und Unsträflichkeit vor dem Gesetz. Dies aber
wäre ein lästerlicher Gedanke gegen Gott, so als ob Er
Barmherzigkeit auf Kosten der Gerechtigkeit ausüben würde.
Etwas ganz anderes lehrt der Apostel Paulus: ,,Gott hat
Seinen Sohn vorgestellt zu einem Gnadenthron durch den
Glauben in Seinem Blut, zur Erweisung Seiner Gerechtigkeit,
daß Er gerecht mache den, der da glaubt." Die Worte Röm. 3
lauten: ,,Auf daß Er gerecht sei und gerecht mache den,
der da ist des Glaubens an Jesus." Und in Röm. 5 sagt
er ausdrücklich, daß wir durch eines Gehorsam, eines
Gerechtigkeit gerecht gemacht werden. Es geschieht also
nicht durch ein Nachgeben auch nur eines einzigen
Buchstabens oder Tüpfelchens im Gesetz, sondern durch die
uneingeschränkte Erfüllung aller Gebote und Urteile des
Gesetzes, die der große Mittler so ganz und gar für uns und
an unserer Statt tat, als ob wir selbst alles dem Gesetz
gemäß getan und erlitten hätten. Ein Mensch kann so die
Verpflichtungen eines anderen erfüllen, z. B. die Schulden
seines Bruders bezahlen, daß der Schuldige wirklich
schuldenfrei und unantastbar ist, so daß er nicht nur dafür
angesehen wird, sondern auch wirklich schuldenfrei ist, weil
der gute Bruder seine Schulden vollkommen bezahlt hat.
Wieviel mehr muß dann die für uns geschehene Erfüllung
und Bezahlung vom Herrn Christus uns wirklich gerecht und
schuldenfrei machen, obwohl wir selbst das Gesetz nicht
zu erfüllen vermögen. Darum müssen wir die Worte
,,Gerechtigkeit zurechnen" nicht so verstehen, daß Gott
uns für gerecht hielte, obwohl wir es nicht wirklich sind,
sondern es muß so verstanden werden, daß die Gerechtigkeit
eines anderen uns geschenkt und zugerechnet ist, jedoch
in einer solch vollkommenen Weise, daß wir wirklich
gerecht sind. Das heilige Gesetz hat nichts von seinem
majestätischen Recht verloren; seine Forderungen sind in
ihrer unermeßlichen Ausdehnung erfüllt; seine Urteile und
Strafen sind in ihrer ganzen Schwere ausgestanden. Kurz -
Gott ist gerecht, wenn Er den gerecht macht, der da glaubt;
denn keine erdachte oder eingebildete, sondern eine wirkliche
Gerechtigkeit rechnet Er uns zu. Er wird am Jüngsten Tag
angesichts der ganzen Welt Seine Gläubigen ,,die Gerechten"
nennen und ihnen in Übereinstimmung mit der vollkommenen
Gerechtigkeit ,,die Krone der Gerechtigkeit" geben.
Du, Jesu, giltst vor Gott allein
Mit Deinem Tun und Leiden;
Hüllt mich der Glaube da hinein,
Was will von Gott mich scheiden?
Du selbst gibst mir das Ehrenkleid,
Den Brautschmuck der Gerechtigkeit;
Darin werd' ich bestehen.