Röm 3,28
C.O.Rosenius
So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht werde ohne
des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Röm. 3, 28.
Was folgt wohl aus diesem sonnenklaren und felsenfesten
Zeugnis, wenn nicht, wie Luther sagt, daß keine Sünden die
Gnade und die Gerechtigkeit, worin die Gläubigen vor den
Augen Gottes stehen, verkleinern und keine guten Werke sie
vergrößern. Gott sieht die Gläubigen nur in Christus, Seinem
geliebten Sohne, gerecht und wohlgefällig, und zwar alle
Stunden gleich, solange sie durch den Glauben in Ihm sind.
Hieraus folgt, daß ich keineswegs gerechter und angenehmer
vor Gott bin in der Stunde, in der ich selbst frömmer und
gottesfürchtiger bin, dagegen weniger gerecht in der Stunde,
in der ich weniger fromm bin. Denn dann würden die
Gerechtigkeit und die Begnadigung ja doch wenigstens zum Teil
aus den Werken kommen, - und ,,dann wäre Christus vergeblich
gestorben", wie der Apostel sagt. Dann wäre nicht die
Gerechtigkeit Christi allein, oder ,,ohne Zutun des
Gesetzes", eine vollkommene Gerechtigkeit; ja, dann wäre mir
auch mit Christus wenig geholfen, denn dann könnte ich dessen
nie gewiß sein, wann die Zutat an Frömmigkeit, die ich selbst
leisten müßte, groß genug wäre. ,,So halten wir nun dafür,
daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein
durch den Glauben," und daß er es verbleibt, solange er durch
den Glauben in Christus lebt, nämlich alle Stunden gleich
gerecht, in den Stunden der Schwachheit wie der Stärke; wenn
er aus Schwachheit in eine Sünde fällt, wie auch, wenn er
Gnade bekommt, etwas Gutes zu tun; wenn es geschieht, daß er
zornig wird, wie auch, wenn er Gnade bekommt, mit Sanftmut zu
dulden; wenn er Kälte leidet, wie auch, wenn er vor Liebe
zerschmilzt; ja, wenn er lacht, wie auch, wenn er weint.
Hier stutzen und erheben sich aber die Vernunft und das
Gefühl bei solchen Worten. Fühle dann hier, wie tief die
Seuche in uns steckt, daß die Gerechtigkeit aus den Werken
kommen solle.
Aber Gott ist ewig unversöhnlich gegen alle Sünde, und Er
liebt die Gerechtigkeit, wie kann Er mich dann für ebenso
gerecht und angenehm halten in der Stunde, in der ich
sündige, wie in der Stunde, in der ich Seinen Willen tue?
Antwort: Gott hat wahrlich einen strengen, heiligen Zorn
gegen alle Sünde. Aber hochgelobt sei der Ratschluß der
Versöhnung! Diesen ganzen Zorn richtete Er gegen Seinen
eingeborenen Sohn, schüttete denselben auf Ihn aus, legte die
Schuld und Strafe aller Sünde auf Ihn. ,,Er ist um unserer
Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen
zerschlagen; die Strafe liegt auf Ihm." Wäre ich nicht in
Seine Gerechtigkeit gekleidet, so wäre die geringste Sünde
verdammlich. Um Seinetwillen aber ist ,,nichts Verdammliches
an denen, die in Christus Jesus sind." Wenn Gott die Sünde an
Seinen Kindern, mit denen Er es immer am genauesten nimmt,
heimsucht, dann geschieht dieses weder aus Zorn noch um eine
Schuld der Sünde einzufordern, sondern aus väterlicher Liebe
und zur Tötung der Wurzel und der Begierden der Sünde.
Aber Gott liebt und belohnt doch gute Werke! Folgt nicht
daraus, daß ich auch für meine Person mehr Gnade und
Wohlgefallen vor Gott in der Stunde habe, in der ich frömmer
und wirksamer im Guten bin, als in der Stunde, in der ich
falle und sündige? Antwort: Gewiß hat Gott Gefallen an
den Werken Seiner Kinder; aber weshalb? Nur um der Person
willen, nur darum, weil die Person Ihm vorher durch Christus
wohlgefällig ist. ,,Was aber nicht aus dem Glauben geht, das
ist Sünde." Da die Person nun zuerst durch den Glauben Gott
wohlgefällig sein muß, bevor die Werke Ihm gefallen können,
so folgt hieraus, daß nicht diese die Person wohlgefällig
machen, sondern die vorher wohlgefällige Person bewirkt,
daß die Werke Ihm gefallen. Wenn man erst diesen Punkt
rein und klar hält, dann leugnen wir nicht, daß die Werke
eines gläubigen Christen Gott gefallen. Alles, was die
gerechtfertigten Kinder im Glauben und in der Liebe tun,
das muß alles wohlgetan heißen, wäre es an und für sich
noch so gering, während ihnen dagegen keine der ihnen noch
anklebenden Sünden zugerechnet werden. Nur die Gerechtigkeit
Christi, in die sie gekleidet sind, bewirkt dies. - Kind im
Haus bist du nur durch die Geburt; das bleibst du auch alle
Stunden, solange du im Hause verbleibst, ob du nun gesund
oder krank, traurig oder froh bist. Gott sieht wahrlich die
Versündigungen Seiner Kinder nicht als Schulden an - denn
alle Sündenschuld ist auf den eingeborenen Sohn geworfen -,
sondern als Wunden, Gebrechen und Leiden, wie eine zärtliche
Mutter die Schmerzen und den Jammer ihres kranken Kindes
ansieht, welche das leidende Kind während dieser Zeit zum
zärtlichsten Gegenstand ihres Herzens machen. Ja, die Sünde
ist auch für die Gläubigen keine Lust, sondern ein Leiden,
das größte Leiden.
O, welch gute Christen würden wir werden, wenn wir
diese Lehre fleißig beachteten! Wenn wir uns z. B. aus
Schwachheit, aus Leichtsinn, Ungeduld und Zorn versündigt
hätten, daß wir dann, sobald die Gewissensbisse unsere
Zuversicht zunichte machen wollen, uns sofort der ewigen
Gnade erinnerten und sagten: ,,Ach wehe, wie habe ich mich
gegen meinen holden Vater versündigt, ich, der ich doch
durch Christus eine ewige Gnade habe, eine zu allen Stunden
unveränderliche Gerechtigkeit und Gnade! O, mein treuer,
ewig holder Vater, vergib Deinem armen Kind, vergib mir!"
O Sündenschuld, wie beugst du mich!
O Glaube, wie erhebst du mich!
Wer faßt hier den geheimen Rat?
Nur, wer den Geist des Glaubens hat,
Der durch das Lammes Blut zusammenschreibt,
Was sonst wohl himmelweit geschieden bleibt.