Röm 3,20
C.O.Rosenius
Kein Fleisch vermag durch des Gesetzes Werke vor Gott gerecht
zu sein Röm. 3, 20.
,,Kein Fleisch", sagt der Apostel, ,,kein Fleisch vermag
durch des Gesetzes Werke vor Gott gerecht zu sein." Er
gebraucht hier das Wort Fleisch, um an die natürliche
Geburt zu erinnern, durch die alles Fleisch seine Natur hat.
Christus spricht: ,,Was vom Fleisch geboren wird, das ist
Fleisch." Aber nun ist alles ,,Fleisch", alle Menschennatur
so, wie sie im Sündenfall wurde, immer gleich erfüllt mit dem
Samen der alten Schlange, tot und ohne Leben aus Gott. Denn
die ganze Natur hatte vom Sch5pfer den Befehl erhalten, daß
sich alles nach seiner Art fortpflanzen sollte, Gras, Kräuter
und Bäume, ,,ein jegliches nach seiner Art, Fische, Vögel und
allerlei Tiere, ein jegliches sollte in seiner Fortpflanzung
seine Art behalten, wie wir es auch geschehen sehen.
Gleichwie nun von einer Schlange nur Schlangen kommen und
Pantherjunge Panther werden, so sind auch alle Menschenkinder
mit der gleichen Natur geboren, wie die der ersten gefallenen
Menschen war, nämlich erfüllt mit dem Schlangensamen, mit
Feindschaft gegen Gott, Verachtung Seines Wesens und Willens,
zu allem Bösen geneigt usw., wie Gott die Menschen schon im
sechsten Kapitel der Bibel beschreibt, daß ihre Bosheit groß
war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens
nur böse war immerdar. Und so ist nun ,,alles Fleisch",
nämlich alles, was Mensch heißt, von Natur.
Wenn wir dies bedenken, dann können wir verstehen, weshalb
der Apostel so bestimmt erklären kann, daß kein Fleisch durch
irgend welche Gesetzeswerke gerecht zu werden vermag. Die
angeborene Natur ist voller Sünde. Gottes Spiegel, Sein
heiliges Gesetz, duldet nicht einmal den geringsten sündigen
Gedanken und nicht die geringste Kälte gegen Gott oder den
Nächsten. Es fordert, daß wir Gott von ganzem Herzen, ja,
aus allen Kräften der Seele lieben sollen, und einen jeden
Menschen, nicht nur gewisse, sondern alle, die unsere
Nächsten heißen, wie uns selbst lieben sollen, und zwar nicht
nur in dem einen oder dem anderen Augenblick, sondern zu
allen Zeiten unseres Lebens. - Wie könnte da jemand in
seiner eigenen Person Gott dem Herrn wohlgefällig sein?
Schließlich muß hier noch ein Umstand beachtet werden, der
erklärt, weshalb kein Fleisch durch des Gesetzes Werke
gerecht werden kann, ein Umstand, den nur wenige Menschen
bedenken, daß nämlich das bloße Vorhandensein des göttlichen
Gesetzes und unser Bedürfnis desselben schon zu unserer
Verurteilung vor dem Gerichte Gottes genügen. Zunächst ist
der Umstand, daß Gott uns ein solches Gesetz mit seinen
Drohungen und Verheißungen gegeben hat, schon ein genügendes
Zeichen dafür, daß wir nicht gut sind, eben weil wir der
Gebote und Drohungen bedürfen. Und zum anderen ist schon die
Tatsache, daß du um des Gesetzes willen und wegen seiner
Drohungen und Verheißungen das Gute tust und das Böse meidest,
ein schwarzer Fleck auf deiner Frömmigkeit. Denn wir sollten
ja alles Gute nur aus der inneren Güte unseres Herzens tun,
wenn wir nicht Schälke sein wollen, die nur durch eine äußere
Macht von der Ausübung des Bösen, das wir doch im Herzen
hegen, zurückgehalten werden. Wenn dir z.B. jemand auf
einige Tage sein Kind übergibt und dabei sagt: ,,Ich muß dich
leider bitten, mein Kind zu überwachen, daß es nicht etwas
stiehlt", und du auch so treue Wacht hältst, daß du das
Kind mit dem Zeugnis zurückgeben kannst: ,,Es hat nichts
gestohlen" - ist das dann ein gutes Zeugnis für das Kind?
,,Ach, ein beklagenswertes Kind!" sagst du. Und warum das?
Es hat ja nicht gestohlen. ,,Nein," sagst du, ,,aber allein
der Umstand, daß es bewacht werden muß, ist ja schon ein
trauriges Zeichen für das Kind."
Gerade so ist es auch mit uns. Was ist das Gesetz, wenn
nicht ein solcher Wächter, der uns überall umgibt und mahnt:
,,Du darfst nicht stehlen! Du darfst nicht den Götzen
dienen! Du darfst nicht töten! Du darfst nicht ehebrechen!
Du darfst nicht lügen!"? - Wovon zeugen solche Gebote und
Ermahnungen, wenn nicht davon, daß wir Diebe, Mörder, Lügner
sind? Denn das Gebot: ,,Du sollst nicht stehlen" sagt uns ja
leise ins Ohr: Du bist ein solcher, der bewacht werden muß,
aber du darfst nicht stehlen. Das Gebot: ,,Du sollst nicht
ehebrechen" sagt uns ja: Du hast eine böse Lust, aber du
darfst ihr nicht folgen. Das Gebot: ,,Du sollst keine
anderen Götter haben" enthält ja: Du hast Mich nicht lieb;
Ich muß es dir befehlen. So enthält ein jedes Gebot eine
Anklage. Aber der Herr verbietet nicht nur den Ausbruch der
Sünde, sondern auch jede böse Neigung, jeden bösen Gedanken.
Das Böse soll nicht nur zurückgehalten, gleichsam im Herzen
verschlossen werden, sondern es soll daselbst gar nicht
vorhanden sein. Du sollst das Gute lieben, so daß du es aus
deiner eigenen guten Neigung tust. Deshalb ist schon das
eigentliche Vorhandensein des Gesetzes mit dessen Drohungen
und Verheißungen ein hinlänglicher Beweis dafür, daß wir
vor Gott nicht gerecht sein können. Und daß wir nur um des
Gesetzes willen das Gute tun oder das Böse meiden, ist ein
ebenso hinlänglicher Beweis, daß wir das Gesetz nicht halten,
das zuallererst ein gutes, heiliges Herz fordert. So können
wir noch deutlicher die Worte verstehen, daß ,,kein Fleisch
durch des Gesetzes Werke gerecht zu sein vermag".
Frage dich, liebes Herz, kennst du dich
In der Natur so recht jämmerlich?
Kennst du dein Elend und Jesu Wunden?
Hast du Vergebung gesucht und gefunden
Durch ihr Verdienst?