Römerbrief

Röm 3,18 C.Eichhorn Der Grundfehler Es ist keine Furcht Gottes vor ihren Augen. Röm. 3, 18

Hiermit schließt der Apostel seine traurige Schilderung der unbekehrten Menschen. Der Mangel an Gottesfurcht ist der Grund aller sittlichen Verirrungen. Gottesfurcht ist ein Damm. Weicht er, dann überfluten und verwüsten die trüben Gewässer alles ohne Hindernis. Wo keine Gottesfurcht ist, da ist es auch mit dem Gewissen zu Ende. Wenn die Sittengebote aufhören, Gottes Gebote zu sein, dann hört auch ihre bindende Kraft auf. Wenn die Ehe nicht mehr als heilige Ordnung Gottes erkannt wird, bricht man sie ohne Scheu. Eidschwüre sind "Zwirnsfäden", die man ohne Bedenken zerreißt, wenn der eigene Vorteil und die selbstsüchtigen Zwecke es nahelegen. Wenn der Gedanke an Gott von den Menschen weggeworfen wird, fällt auch alle sonstige Autorität dahin. Mit dem Respekt vor Gott hört der Respekt vor den Vorgesetzten auf. Man will überhaupt keine Obrigkeit mehr über sich anerkennen. Mit der Gottesfurcht sinkt auch die Ehrfurcht vor den Eltern dahin. Man setzt sich über ihre Gebote frech hinweg und behandelt sie kalt. Wo Gottesfurcht in einem Volk schwindet, da treten Auflösung und Zersetzung ein. Die sittlichen Begriffe fallen hin, und es bleibt nur die nackte Selbstsucht, die rücksichtslos ihr Ziel verfolgt. Wenn die Gottesfurcht aufhört, schwinden Recht und Unrecht. Recht dünkt dem Menschen nicht, was Gott fordert, sondern was sein eigenes Interesse erheischt. Ein Unrecht ist alles, was dem selbstsüchtigen Wünschen und Begehren Halt gebietet. Man läßt sich nur von der Erwägung leiten: Was nützt mir? Die Gewissenhaftigkeit erscheint solchen Leuten als Beschränktheit. Ehrlichkeit achten sie für Dummheit. Wo die Gottesfurcht keine Stätte mehr hat, fürchtet man nur Strafe oder Schande. Die Frage, die sich dann der Mensch vorlegt bei seinem Tun und Lassen, lautet nicht: Was sagt Gott?, sondern: Was sagen die Leute? Ich will mir nichts Schlechtes nachsagen lassen: darin besteht die ganze Moral oder richtiger Unmoral. Man tut das Böse ungescheut, wenn's nur nicht herauskommt. Wahrlich, die Bibel hat recht, wenn sie den Abfall von Gott als das Grundübel bezeichnet, aus dem alles Böse entspringt. "Mein Volk geht zugrunde aus Mangel an Erkenntnis", ruft Hosea aus. Jesaja beginnt sein Buch mit der ergreifenden Klage seines Gottes: Ich habe Kinder aufgezogen, und sie sind von mir abgefallen. Ein Ochse kennt seinen Herrn, aber mein Volk will nichts von mir wissen. Sie haben den Herrn verlassen und lästern den heiligen Gott. Wer von Gott abkommt, der kommt in alles Böse, über den kommt alles Böse. - Wo keine Gottesfurcht ist, fehlt auch die Voraussetzung für den Glauben. Man endet im nackten Unglauben. Wie der Glaube die rechte Grundstellung der Seele zu Gott ist, so ist der Unglaube die Grundverkehrtheit, aus der alles Böse entspringt. - So deckt uns die Bibel beides auf: das Geheimnis der Herrlichkeit des Menschen, aber auch das Geheimnis seiner Entartung und Erbärmlichkeit.