Apg 23,2
A.Christlieb
Ein Mißbrauch der Amtsgewalt.
Apostelgeschichte 23, 2.
Der Hohepriester Ananias mißbrauchte nach obigem Text seine
Amtsgewalt. Er gab auf den ersten Satz des Paulus hin
gleich den Befehl, ihn ins Gesicht zu schlagen. Diese
Handlungsweise läßt uns den rohen und gewalttätigen Charakter
jenes Mannes erkennen. Dieser Anblick kann uns eine
dreifache Lehre geben:
I.
Man kann ein geistliches Amt haben, ohne geistlich gesinnt zu
sein.
Ananias war zum geistlichen Amt geweiht worden; ja, er hatte
das höchste Amt in seiner jüdischen Kirche erlangt. Aber ein
wahrer Geistlicher, der den heiligen Geist empfangen hatte,
war er nicht. Sein Benehmen beweist eine durchaus
ungeistliche Gesinnung.
Laßt uns doch flehen, daß Gott Männer gebe, welche die
wahre Weihe empfangen haben, indem sie in Wort und Wandel
die rechte Erleuchtung von oben her zeigen. Die Söhne
Elis hatten auch wie alle Priester die vorgeschriebene
Priesterweihe empfangen. Wahre Priester waren sie deshalb
nicht, denn ihre Gesinnung war nicht priesterlich (1. Samuel
2, 12 - 17).
Der Oberpriester Amazja mochte zu seinem hohen Amt äußerlich
richtig eingeführt sein. Ein geistlicher Führer des Volkes
war er nicht, weil er das Wort Gottes durch Amos bekämpfte
(Amos 7, 10). Ähnlich war es mit Hananja (Jeremia 28) und
anderen.
Nicht selten haben fromme Eltern große Enttäuschungen erlebt,
wenn sie ihren Sohn mit Gewalt in ein geistliches Amt
hineindrängten in der Meinung, die Heiligkeit des Amtes werde
schon seinen heilsamen Einfluß beweisen. Aber sie mußten
erleben, daß dieser Sohn als Amtsträger das Reich Gottes ehr
hinderte als förderte.
Laßt uns an Ananias hier die Tatsache feststellen: Auch
das höchste geistliche Amt macht seine Träger nicht fromm
und himmlisch gesinnt, wenn nicht der Herr das Herz des
Amtsträgers erneuert und ihn so für Gottes Reich brauchbar
macht.
II.
Eine zweite Lehre, die uns der Anblick dieses unwürdigen
Hohenpriesters gibt, sei diese: Man kann mit dem gesegnetsten
und treuesten Gottesknecht zusammenkommen und ihn
kennenlernen, ohne irgendwelchen inneren Gewinn dadurch
zu bekommen.
Hier steht Ananias vor dem Apostel Paulus, dem auserwählten
Rüstzeug des Herrn. Er hört ihn reden. Er beobachtet sein
Auftreten. Aber es geht ihm wie Kaiser Karl V. auf dem
Reichstag zu Worms, als er Luther kennenlernte. Er sagte
nur: ,,Dieser Mann soll mich nicht zum Ketzer machen". Er
verstand Luthers Kraft und Gabe durchaus nicht. Inneren
Gewinn hat er durch das Zusammensein mit Luther nicht
empfangen.
Diese Tatsache kann uns wieder vor einem Irrtum bewahren.
Man denkt oft: Wenn dieser oder jener dem Christentum
feindliche Mann nur einmal einen wahren, echten Knecht Gottes
kennenlernte, dann würde seine Gesinnung sicherlich anders.
Nein. Man kann den Elias kennenlernen und beten hören und
trotzdem ein Baalsanhänger bleiben, das zeigt uns Ahab (1.
Könige 18 - 22).
Man kann Stephanus reden hören und sterben sehen und dennoch
die Christen für gefährliche Sektierer halten. Das zeigt uns
Saulus.
Man kann wie die Königin Maria Stuart einen John Knox hören
und doch ein Feind des evangelischen Glaubens bleiben.
Man kann wie Herodias einen Täufer in nächster Nähe haben und
dennoch eine Sündendienerin bleiben. Man kann wie der
Hohepriester Ananias den besten Zeugen Jesu hören und sehen
und dennoch dem Christentum nicht das mindeste Verständnis
abgewinnen.
Der Herr selbst muß ein Menschenherz erfassen, sonst helfen
alle Propheten und Apostel nichts.
A.Christlieb
Das Verhalten von Paulus gegenüber dem Hohenpriester Ananias
Apostelgeschichte 23, 2. 5.
Es kann vorkommen, daß ein Jünger Jesu einem unwürdigen
Amtsträger gegenübersteht und es ihm nicht leicht ist, die
rechte Stellung einzunehmen.
In einer solchen Lage befand sich Paulus in unserem Text.
Wir wollen seine Auseinandersetzung mit dem Hohenpriester
anschauen. Laßt uns sehen
1. wie Paulus durch das ungerechte Verhalten des
Hohenpriesters gereizt wurde,
2. wie Paulus den Hohenpriester, ohne ihn zu kennen, der
Wahrheit gemäß zurechtwies,
3. wie er, sobald er die amtliche Stellung erfuhr, sich
entschuldigte.
I.
Wie roh und gewalttätig war doch das Benehmen dieses
Hohenpriesters. Ohne irgendwie die Worte des Paulus näher
zu untersuchen, ohne jede Berechtigung zu solcher Schärfe,
befahl er denen, die um Paulus standen, ihm eine Maulschelle
zu geben. Durch unsere Blätter ging vor nicht langer Zeit
eine Nachricht von einem höheren Beamten der Kirche, welcher
mit rohen Ausdrücken gegen alle vorzugehen drohte, die nicht
seine Ansicht in einer gewissen Frage teilten. Mit Recht
erhob sich eine Entrüstung über solches Gebaren.
Nicht anders, ja noch viel schlimmer war das Verhalten des
Ananias gegenüber Paulus. Mit roher Gewalt wollte er das
unterdrücken, was seiner Meinung entgegenstand.
Laßt uns nicht sprechen: ,,Ich danke dir Gott, daß ich
nicht bin wie jener Hohepriester". Wer sein eigenes Herz
kennt, der weiß, wie sich in unserem Innern oft solche
Ananiasgedanken regten, so daß wir am liebsten andere
mit äußerer Gewalt niedergedrückt hätten, wenn sie uns
entgegenstanden. Laßt uns festhalten: Wer mit Ananias-Gewalt
seine Meinung durchsetzen und andere Religionsansichten
unterdrücken will, ist auf dem Irrweg.
II.
Was tat nun Paulus? Wohl merkt man seinen Worten die innere
Entrüstung an über solches Benehmen eines geistlichen
Führers. Doch geht er in seiner Antwort in nichts über die
Grenzen der Wahrheit.
Der Titel, den er Ananias gab, war ebenso richtig, wie das
Strafmaß, welches er ihm zudiktierte, und die Begründung
dafür. Ananias war in der Tat ,,eine getünchte Wand", d. h.
äußerlich glanzvoll und würdig aussehend, aber innerlich voll
Unwürdigkeit (Matthäus 23, 27). Die ihm gebührende Strafe
lautete: ,,Gott wird dich schlagen". Dies Wort erfüllte sich
auch wirklich einige Zeit später, als Ananias durch den Dolch
eines Fanatikers niedergestoßen wurde.
Die Begründung für des Paulus Urteil war auch zutreffend,
denn ein Mann, der nach Gottes Gesetz richten soll und sich
dabei selbst nicht um dieses Gesetz kümmert, verdient in der
Tat Gottes Zornesrute.
III.
So wahr und zutreffend indessen dieses Urteil auch war, so
kann man doch fragen: Durfte Paulus so reden? Wir antworten:
Hätte er in dem Mann, der ihn zu schlagen befahl, gleich den
Hohenpriester erkannt, so wäre seine Antwort nach seinem
eigenen Urteil anders ausgefallen (Vers 5 b). Es hängt also
alles davon ab, ob man die Berechtigung des Wortes: ,,Ich
wußte es nicht, daß es der Hohepriester ist" anerkennt, oder
ob man mit anderen Auslegern übersetzen will: ,,Ich bedachte
es nicht, daß es der Hohepriester ist". Ein Fachmann
und Kenner der damaligen Verhältnisse sagt darüber:
,,Die römische Oberbehörde jenes Landes suchte eifrig zu
verhindern, daß das Ansehen des Hohenpriesters zu groß
wurde. Deshalb wurde ihm das Anlegen der hohenpriesterlichen
Amtstracht nur an bestimmten hohen Feiertagen erlaubt.
Ferner ließ man einen Hohenpriester nie sehr lange auf
seinem Posten, sondern wechselte häufiger, damit nicht ein
Hoherpriester allzu großes Ansehen erlangen konnte". So ist
es ganz erklärlich, daß Paulus den Amtsträger nicht kannte,
der keine besondere Amtstracht trug und noch nicht sehr
lange im Amt war. Niemand hat ein Recht, die Wahrheit des
Pauluswortes: ,,Ich wußte es nicht, daß es der Hohepriester
ist" anzuzweifeln.
Sobald Paulus vernahm, daß der von ihm zurechtgewiesene Mann
der Hohepriester war, entschuldigte er sich und bedauerte mit
Rücksicht auf das Schriftwort 2. Mose 22, 27, jenen Ausdruck
gebraucht zu haben.
Hier sehen wir, daß Paulus, selbst wenn er in seiner
Entrüstung die gottgewollte Grenze überschritten haben sollte
(worüber uns das Urteil nicht zusteht), sich willig sofort
dies sagen ließ und auch bei einem unwürdigen Amtsträger
dennoch das Amt achten und gebührlich behandeln wollte. Dies
gibt den Jüngern Jesu einen Hinweis für ihr Verhalten
gegenüber einem unwürdigen Amtsträger. Es gilt in solchen
Fällen trotz aller berechtigten Ausstellungen an der
betreffenden Person dennoch das Amt zu achten und zu ehren.
Dies wird in unserer Zeit leicht vergessen, die voll von
Gottesverachtung ist.