Apostelgeschichte

Apg 21,5 A.Christlieb Wie sich Christengegner an jenem Geleit und der Gebetsvereinigung hätten ärgern können. Apostelgeschichte 21, 5.

Die betenden Christen sind von jeher der Welt ein Dorn im Auge gewesen. Die Welt hat an ihnen allezeit viel auszusetzen, teils mit Recht, teils mit Unrecht. So war es schon damals, als heidnische und jüdische Gegner auf die Jünger Jesu blickten. Die Begleitung der ganzen Christengemeinde und die Gebetsvereinigung, an der wir uns jetzt erbauen und erfreuen, hätten für einen Christengegner ein Stein des Anstoßes werden können.

Wir wollen uns einmal in die Stellung eines Christenfeindes hineinversetzen, der auf irgendeine Weise Gelegenheit bekam, jenes Geleit und die Gebetsvereinigung zu beobachten oder davon zu hören. Dreierlei hätte ihn hier ärgern und dreierlei Vorwürfe hätte er hier gegen die Christen erheben können.

1. Man konnte sich ärgern an dem Aussetzen aller täglichen Berufsarbeit.

Dadurch, daß man dem Apostel das Geleit gab, wurde die tägliche Arbeit der einzelnen Christen selbstredend unterbrochen. Sie legten für einige Stunden ihre gewohnten Berufspflichten auf die Seite. Schon daran hätte ein den Christen übelgesinnter Mensch sich ärgern können. Er hätte auf den Unterschied zwischen den eifrig schaffenden Hafenarbeitern, welche die Schiffe aus- und einluden, und diesen Betern, die nur zur Begleitung eines ihrer Gesinnungsgenossen zum Hafen wanderten, hinweisen können. Er hätte sie eine träge Gesellschaft schelten können, die lieber der Arbeit nachgehen sollte, wie andere es auch tun müßten.

Ein solcher Vorwurf wäre aber ungerecht gewesen. Man würde die Christen von Tyrus nur nach einer Stunde beurteilt haben, die offenbar eine besondere Ausnahme in ihrem gewohnten Alltagsleben bildet, denn hier handelt es sich um den Abschied des Paulus. Gewiß werden sie nachher um so eifriger ihre täglichen Pflichten auf sich genommen und erfüllt haben.

So gibt es auch heute noch besondere Anlässe, wo es wahrlich nicht Faulheit und Trägheit ist, wenn Christen ihre Berufsarbeit unterbrechen. Auch der Besuch irgendeiner innerlich fördernden und Ewigkeitssegen einbringenden Veranstaltung oder Versammlung kann mit dazu gehören.

2. Man konnte sich ärgern an der Wahl des Gebetsortes.

Man hört bisweilen das Wort: Das Gebet gehört ins Kämmerlein. Wer an anderen Orten betet, gleicht den Pharisäern, die auf Straßen und öffentlichen Plätzen ihre Gebete verrichteten (Matthäus 6, 5. 6). So hätte man auch jener Beterschar am Meeresufer Pharisäismus vorwerfen können, weil sie dort und nicht im Kämmerlein beteten.

Wie ungerecht wäre das gewesen! Wenn jene Christenschar die Absicht gehabt hätte, mit ihrer Gebetsvereinigung die Augen anderer Leute auf sich zu ziehen und eine Anerkennung ihrer Frömmigkeit zu erreichen, dann wäre dieser Vorwurf berechtigt gewesen; dann hätte man in der Tat jenen Betern Ruhmsucht, Stolz und Pharisäismus vorwerfen können. Aber eine sachliche Betrachtung des Herganges zeigt uns das Gegenteil. Nicht mit der Absicht, vor andern recht fromm zu erscheinen, beugten die Christen in jener Abschiedsstunde ihre Knie, sondern aus einem inneren Bedürfnis. Jetzt, wo sie sich voraussichtlich für immer trennten, wußten sie die Abschiedsstunde nicht besser auszukaufen als mit gemeinsamem Gebet, in dem sie sich der Gnade ihres himmlischen Führers befehlen und für die Abreisenden und Zurückbleibenden Segenskräfte erbitten konnten. Eine solche Gebetsvereinigung ist wahrlich nicht falsche Ruhmsucht, sondern im Gegenteil demütiges Abhängigkeitsbewußtsein von dem Herrn, ohne den wir nichts vermögen. Hüten wir uns, solchen Leuten den Vorwurf pharisäischen Stolzes zu machen! (Matthäus 7, 1; 3. Mose 19, 16 a; Psalm 15, 3).

3. Man konnte sich ärgern an der Beteiligung von Kindern an einer Gebetsvereinigung. Auch darüber hätte sich mancher Christengegner beschweren können, daß hier Kinder in jugendlichem Alter eine Gebetsversammlung mitmachten, deren Inhalt und Tragweite sie zum Teil noch gar nicht verstehen konnten. Sie hätten deshalb den Christen Unnüchternheit (oder gar Schwärmerei) vorwerfen können. Wir wollen die Möglichkeit gar nicht abstreiten daß der Inhalt der Gebete in jener Stunde über das Verständnis mancher anwesenden Kinder hinausging. Darf man deshalb das Mitnehmen der Kinder und ihre Beteiligung am gemeinsamen Gebet unnüchtern und schwärmerisch nennen? Niemals! Unnüchternheit wäre es gewesen, wenn die Eltern in Tyrus ihre Kinder künstlich gedrängt hätten, etwas mitzumachen, was sie gar nicht verstehen konnten, oder wenn sie gar die Anwesenheit von Paulus benützt hätten, um aus ihren Kindern ein Bekenntnis hervorzulocken, das ihrem inneren Stand gar nicht entsprach. Aber so gewiß alles künstliche Drängen und Treiben bei der geistlichen Einwirkung auf die Jugend zu verurteilen ist, ebenso gewiß hat niemand ein Recht, das Mitnehmen junger Kinder an Ort, wo auch gemeinsam gebetet wird, zu tadeln oder unnüchtern zu nennen.

In einer Zeit, wo die Welt sucht, unsere Jugend zu allerlei innerlich vergiftenden Veranstaltungen zu locken, dürfen wir es uns nie nehmen lassen, sie dorthin einzuladen und mitzunehmen, wo himmlische Segenskräfte ausgehen (Matthäus 18, 20; Apostelgeschichte 12, 12).





A.Christlieb Wie der Anblick der Gebetsvereinigung in Tyrus drei brennende Zeitfragen beleuchtet. Apostelgeschichte 21, 5.

Der Anblick jener Gebetsversammlung gibt uns einen Beitrag zur Beantwortung von drei brennenden Zeitfragen:

1. W i e k a n n d a s F a m i l i e n l e b e n g e s t ä r k t u n d v o r Z e r r ü t t u n g b e w a h r t w e r d e n ? Wir leben in einer Zeit, in der die ,,Zelle" des Familienlebens vielfach bedroht wird. Was kann zu seinem Schutz geschehen? Unser Text zeigt uns christliche Familien, die vor dem Gnadenthron vereint sind. Solches gemeinsames Gebet stärkt das Familienleben besonders. Nicht in allen Christenhäusern betet man gemeinsam. Die äußere, mannigfaltige Arbeit der einzelnen Familienglieder, allerlei Berufspflichten derselben erschweren das außerordentlich. Dennoch sollte in jeder Christenfamilie darauf gesehen werden, daß die Segensmacht des gemeinsamen Gebetes nicht fehle (Esra 8, 21 - 23)!

2. Eine andere Frage, die viele Christen bewegt, ist diese: W a s k a n n v o n u n s e r e r S e i t e g e s c h e h e n , d a ß i n l e b e n d i g e n c h r i s t l i c h e n K r e i s e n d e r N a c h - w u c h s n i c h t a u s b l e i b t ? Gewiß ist dies nur Sache der Barmherzigkeit Gottes. Aber doch dürfen wir die Tatsache nicht übersehen, daß gerade in solchen Häusern, wo neben dem einsamen auch das gemeinsame Gebet in rechter Weise seine Stätte hat, Gott jugendliche Herzen für seine Gnade öffnet.

3. W i e k ö n n e n u n s e r e H ä u s e r v o r d e n G e f a h r e n d e s Z e i t g e i s t e s b e w a h r t w e r d e n ? Welch ein Mammons- und Vergnügungsgeist wird wohl in jener großen Handelsstadt Tyrus geherrscht haben! Die Gefahr, daß dieser auch in die Christenhäuser eindringe, war ohne Zweifel vorhanden. Wie sollte man sich dagegen schützen? Gemeinsames Gebet kann eine schützende Macht gegen den verderblichen Zeitgeist bilden. Gott lasse alle Christenhäuser den Segen solcher Gebetsvereinigungen reichlich erfahren!





A.Christlieb Die restlose Beteiligung aller Christen am Geleit von Paulus. Apostelgeschichte 21, 5.

Die restlose Beteiligung aller Christen bei Paulus' Abreise von Tyrus zeigt uns die liebliche Einigkeit des Volkes Gottes in jener Zeit und Stadt. Kein Unterschied in Lehrfragen und Verfassungen trennte die Gläubigen hier. Kein Unterschied von hohem und niedrigem Stand machte ein gemeinsames Geleit unmöglich. Keine persönlichen Zwistigkeiten hielten irgendwelche Gemeindeglieder von diesem vereinten Wege ab. Wie leicht kann es an diesem oder jenem Ort vorkommen, daß ein gemeinsames Zusammengehen fast unmöglich ist, weil die Jünger Jesu in verschiedene Lager gespalten sind! Die einen erklären: Wenn jene mitgehen, so werden wir nicht mitkommen und umgekehrt. Wie hat Satan unter Gottes Volk allerlei Trennungen hervorgebracht!

Der Anblick dieser vereinigten Jünger von Tyrus sollte eine beschämende Wirkung auf unsere Herzen ausüben und uns den Seufzer auspressen, daß Gott auch an unserem Ort sein Volk so verbinde, wie es in Tyrus der Fall war (Johannes 17, 20 - 23; Philipper 2, 1 - 4; Psalm 133).