Apg 19,34
A.Christlieb
Fanatismus und Glaube.
Apostelgeschichte 19, 34 (1. Könige 18, 39).
Es gibt im Reich Gottes Erscheinungen, die beim ersten
Anblick recht ähnlich zu sein scheinen. Aber bei genauerem
Vergleich bemerkt man ihre Grundverschiedenheit. Dazu
gehören Fanatismus, d. h. blinder, wütender, religiöser
Eifer (etwa für eine Lehre, Einrichtung und dergleichen) und
Glaube, d. h. von Gott gewirkte Überzeugung. Daß beide
eine gewisse Ähnlichkeit nach außen haben können, zeigt sich
schon aus dem Vorwurf der Welt, welche gläubige Christen oft
als Fanatiker zu bezeichnen pflegt. Umso vorsichtiger wollen
wir beides nach der Schrift unterscheiden lernen, denn eine
Verwechslung kann sehr gefährlich sein.
In obigen Versen sehen wir beide Erscheinungen nebeneinander.
Beide Bilder haben manches gemeinsam. Hier wie dort preist
ein großes Volk begeistert seine Gottheit. In Ephesus ruft
eine Volksmenge: ,,Groß ist die Diana!" Auf dem K a r m e l
ertönt das Wort: ,,Der Herr ist Gott". Woran erkennen wir
nun, daß der Ruf in Ephesus Fanatismus und das Bekenntnis auf
dem Karmel Glaube ist?
Beide Äußerungen unterscheiden sich zunächst ihrer Entstehung
nach. In Ephesus war die Masse jener Heiden durch Menschen
in Erregung gebracht worden. Demetrius hatte ihren Eifer
künstlich erregt. Auf dem Karmel aber beruhte jenes
Glaubenswort auf einer klaren, unwiderleglichen, gewissen
Tatsache, auf dem Anblick des herabgefallenen Feuers, welches
das Opfer verzehrt hatte. Hier ruhte der Glaube nicht auf
menschlicher Überredung, sondern auf einer göttlichen
Offenbarung, nämlich auf der Erhörung des Elias-Gebetes.
Schon diese verschiedene Entstehung gibt uns einen Hinweis.
Sie sagt uns: Wenn wir vor schwärmerischem Eifer bewahrt und
mit gesunder Glaubenskraft erfüllt werden wollen, so wollen
wir unsere Erkenntnis da holen und nähren, wo klare, gewisse
Offenbarung Gottes zu finden ist, nämlich in der Heiligen
Schrift. Täglicher gründlicher Umgang mit dem Wort Gottes
bewahrt vor Fanatismus und stärkt den Glauben.
Nicht nur in ihrer Entstehung, sondern auch in ihrem äußeren
sittlichen V e r h a l t e n zeigt sich ein bedeutsamer
Unterschied zwischen beiden Erscheinungen. Die fanatische
Volksmasse in Ephesus will niemand außer sich selbst zu Wort
kommen lassen. Sie schreit Alexander nieder. Ihre
Meinungsäußerung geschieht in einer jeden Anstandes baren
Form. Sie wird keinem anderen gerecht. Nicht mit innerer
Überzeugung, sondern mit äußerer Gewalt wollen sie ihre
Meinung durchsetzen und ihr Geltung verschaffen.
Ganz anders ist das sittliche Verhalten Israels auf dem
Karmel. Dort sehen wir keine Gesichter voll
leidenschaftlichen Zorns, sondern ein in Ehrfurcht
niedersinkendes und anbetendes Volk (,,Sie fielen auf ihr
Angesicht"). Auch ,,schrieen" sie nicht wie jene Epheser,
sondern sie ,,sprachen": ,,Der Herr ist Gott".
Wie völlig verschieden ist doch das Benehmen des Glaubens von
dem des schwärmerischen Eifers! Ersteres wirkt erbaulich,
letzteres abstoßend. Laßt uns achthaben, daß wir bei der
Verteidigung eigener Meinung und christlicher Wahrheiten
niemals in das Fahrwasser jener Epheser geraten, sondern im
Geist jener Bekenner auf dem Karmel stehen. (1. Petrus 3,
15. 16.)
A.Christlieb
Das Losungswort der Welt
und das Losungswort des Volkes Gottes.
I. Das Losungswort der Welt.
Apostelgeschichte 19, 34.
In der großen Erweckungszeit zu Ephesus sehen wir gleichsam
zwei Heerlager einander gegenüberstehen. Das eine ist ein
christusfeindliches. Es schart sich um den Goldschmied
Demetrius und möchten am liebsten die Sache Jesu ganz
vernichten. Das andere besteht aus allen, die an Jesus
gläubig geworden sind. Sie halten es mit Paulus.
Beide Heerlager haben ihr besonderes Losungswort. Eine
nähere Betrachtung wird uns zeigen, wie heute noch diese zwei
Lager allenthalben bestehen und jeder entweder die eine oder
die andere Losung zur Seinigen machen muß.
Den Losungsruf der Welt vernehmen wir in dem zweistündigen
Schreien der Volksmenge. Er lautet: ,,Groß ist die Diana der
Epheser". Viele denken gewiß: ,,Hätten wir in jenen Tagen
gelebt, so würden wir sicher nicht bei diesen Schreiern
gewesen sein. Es ist aber zu befürchten, daß mancher, der so
denkt, sich mitten in den Reihen dieser Leute befindet, ohne
es zu wissen. Laßt uns einmal diesem Wort auf den Grund
gehen. Was bedeutet es denn? Ausgegangen war der Ruf von
Geschäftsinteressenten. Die Hersteller der silbernen
Abbilder des Dianatempels waren erzürnt, weil die Ausbreitung
des Christentums ihre Einnahmen beeinträchtigten. Sie
wünschten eine Neubelebung der Dianaverehrung, weil sie sich
dadurch mehr bereichern konnten. Mithin bedeutete ihr Ruf:
,,Groß ist die Diana" nichts anderes als: Groß ist das, was
uns viel Geld einbringt. Groß ist unsere Liebe zum Besitz
und Gier nach Mammon.
Wenn wir so diesen Ruf nach seinem Ursprung ansehen, müssen
wir bekennen: die Welt schreit heute noch ganz genau so wie
damals, wenn auch äußerlich mit anderen Worten. Hüten wir
uns, daß wir nicht in dieses Geschrei mit hineingezogen
werden! Hüten wir uns vor den Ketten der Mammonsliebe, die
auch Jesu Jünger bestricken will (Sprüche 28, 20. 22;
Prediger 5, 9; Jakobus 5, 1 - 3).
Der Ruf ,,Groß ist die Diana der Epheser" blieb aber nicht
auf jene Geschäftsinteressenten beschränkt. Große Massen
eigneten sich diese Losung an, die an dem Gewinn jener
Silberarbeiter ganz unbeteiligt waren. Alle die Menschen,
welche am alten Heidentum festhielten und das Wort vom Kreuz
ablehnten, sammelten sich um die Fahne des Demetrius und
nahmen die Losung: ,,Groß ist die Diana" als die ihrige an.
Für sie bedeutete jener Ruf: Groß ist unser Haß gegen das
Christentum. Groß ist unsere Liebe zu der Religion, welche
uns ungestört im alten Wandel nach väterlicher Weise bleiben
läßt. Wir wollen nichts von der Lehre des Paulus wissen.
Nun fragen wir: Ruft nicht die Welt heute noch ebenso? Sie
will nichts von einer Religion wissen, bei der das Fleisch
mit seinen Lüsten und Begierden gekreuzigt werden soll. Sie
verlangt eine Religion der Fleischesfreiheit. Solche fand
die Welt damals im Dianakultus, bei dessen Feiern man der
Sinnenlust die Zügel schießen ließ. Ähnliches möchten sie
heute auch.
Jeder, der diesen Sinn mit ihr teilt, den biblischen schmalen
Weg verachtet und sein altes natürliches Wesen beibehalten
und anerkannt wissen will, ruft im tiefsten Grunde auch:
,,Groß ist die Diana der Epheser!" (Galater 5, 16 - 24; 1.
Petrus 4, 4).
Zuletzt hören wir aus jenem Schrei eine A n g s t v o r
w e i t e r e m V o r d r i n g e n d e s W o r t e s
G o t t e s heraus. Weshalb sammeln sich denn die Heiden in
solchen Scharen und rufen stundenlang so? Weil sie voller
Besorgnis sind, daß die Lehre des Paulus immer weitere
Fortschritte macht und schließlich das Heidentum ganz
überwindet. Sie spüren, daß der Stern ihrer Diana am Sinken
ist. Sie wehren sich verzweifelt gegen den Siegeswagen des
Evangeliums und können ihn doch nicht aufhalten.
Äußerlich sah diese Protestversammlung gegen die Arbeit des
Paulus so mächtig und gewaltig aus, daß man wohl hätte Angst
bekommen können. Und doch war diese ganze Machtentfaltung
nur Schein und Dunst. Der Glaube lächelt darüber, daß
Menschen durch ihr Geschrei Gottes Werk aufhalten wollen.
Auch heute noch sieht der Glaube in allem Toben der Welt
gegen das Christentum eine geheime Angst vor dem Sieg
desselben. Es ist oft, als ahne die Welt trotz ihrer
Verblendung etwas davon, daß Jesus noch einmal den letzten
großen Sieg und Triumph davontragen werde (Psalm 118, 15.
16). Weil ihr davor graut, und sie dies fürchtet, deshalb
schreit sie, es sei nichts mit dem Christentum. Diese Angst
der Welt stärkt den Glauben der Kinder Gottes und gibt ihm
neue Nahrung, wie einst Gideon aus der Furcht der Midianiter
neuen Glaubensmut gewann (Richter 7, 9 - 15).
Wohl allen, die nicht mit der Welt schreien, sondern sich zu
einer besseren Losung wenden.
siehe auch
II. Das Losungswort des Volkes Gottes.
-> Apostelgeschichte 19, 17 c.