Apg 19,2
A.Christlieb
Paulus und die zwölf Johannesjünger.
Apostelgeschichte 19, 1 - 6.
Das Zusammentreffen des Apostels mit den zwölf
Johannesjüngern soll uns beschäftigen. Gar verschieden sind
jene Jünger beurteilt worden. Laßt uns versuchen, ihnen
gerecht zu werden, indem wir beide Seiten, ihr Gutes und
ihre Mängel, näher ins Auge fassen.
1. Paulus findet etwas Gutes bei ihnen.
Sie werden ,,Jünger" genannt, gingen also nicht mit der Welt
auf dem breiten Weg dahin. Auch beweisen die Worte des
Paulus: ,,Da ihr gläubig geworden seid", daß er zumindest
einen Anfang von Glaubensleben bei ihnen anerkannte. Das
will bei dem höchst mangelhaften Unterricht, den sie
offenbar gehabt haben müssen, schon viel heißen.
Anstatt über diese Leute gleich den Stab zu brechen und sie
wegen ihres Mangels zu verurteilen, laßt uns sie lieber
zuerst schätzen und anerkennen, daß sie bei dem geringen
Licht, welches sie besaßen, sich doch schon von der Welt
abzusondern und der kleinen Herde Christi anzuschließen
suchten. Viele Tausende in der Christenheit haben ungleich
größere Kenntnis des göttlichen Heilsweges, stehen aber im
Gehorsam gegen die erkannte Wahrheit weit hinter den
Johannesjüngern zurück. Viele, die alles das wissen, was
jenen unbekannt war, sind in der Praxis viel zu stolz, sich
dem Häuflein der Jünger des Herrn anzuschließen.
Wohl dem, der dem Licht folgt, das er empfängt. Solchem wird
Gott weiteres Licht zur rechten Zeit zufließen lassen (Lukas
12, 47. 48; Matthäus 11, 23. 24; Lukas 16, 10).
2. Paulus vermißt bei ihnen etwas.
Neben der Anerkennung des Guten bei den Johannesjüngern gilt
es auch, auf ihren Mangel zu achten. Paulus vermißt etwas
bei ihnen. Woran lag das?
Wir können aus dem Verlauf des Gesprächs erkennen,
daß sich diese zwölf Jünger in ganz besonderer Weise an
ein menschliches Werkzeug im Reich Gottes, nämlich an
Johannes den Täufer, angeschlossen hatten. Von der großen
Bußbewegung, die von diesem Mann ausging und die sich weithin
erstreckte, wurden auch sie erfaßt. Entweder durch Johannes
selbst oder einen seiner Jünger empfingen sie einen Segen,
blieben dann aber allzusehr bei dem Täufer stehen. Dadurch
entstand eine gewisse Enge und Einseitigkeit bei ihnen.
,,Eng" waren sie in ihrer Erkenntnis, die sich einseitig auf
die Bußpredigt des Johannes gründete. ,,Eng" waren sie in
ihrem Umgang und ihrer Gemeinschaft, denn wenn sie mit einem
weiteren Kreis lebendig gläubiger Christen Verbindung gehabt
hätten, so wäre die nachher von ihnen bezeugte Unkenntnis
unmöglich gewesen. ,,Eng" muß auch ihre Segenswirkung nach
außen gewesen sein, denn der treffliche Menschenkenner und
scharfe Beobachter Paulus fühlte bei ihnen sofort den Mangel
an Kraft und Fülle des Heiligen Geistes. Die herrlichen
Geistesgaben, welche damals in der Gemeinde wohnten, fehlten
ihnen ganz.
Was sagt uns der Anblick dieses ihres Mangels? Er ruft uns
zu: Man kann in seinem Leben vieles innerlich erfahren haben,
man kann ein Verehrer großer Gottesmänner sein, man kann
einem kleinen engen Kreis von Jüngern angehören und dennoch
die rechte Fülle von Gotteskraft, die der Herr uns geben
möchte, nicht in Besitz haben. Deshalb gilt es, nicht
stehenzubleiben bei dem, was wir bisher empfangen haben. Es
gilt uns das Josuawort: ,, Wie lange seid ihr so lässig, daß
ihr nicht hingeht, das Land einzunehmen, daß euch der Herr,
euer Väter Gott, gegeben hat?" (Josua 18, 3).
Laßt uns nicht ausruhen auf früheren Erweckungszeiten und
Glaubenserfahrungen, sondern tief eindringen in die ganze
Gnadenfülle, die uns in Christus geschenkt ist, und die
Ermahnung des Paulus befolgen: ,,Werdet voll Geistes!"
(Epheser 5, 18; vergleiche Offenbarung 3, 2; Philipper 3, 13.
14; Kolosser 1, 11).
3. Paulus hilft ihnen zu dem, was ihnen fehlte.
Wie wichtig ist doch die richtige Behandlung unvollkommener
Jünger. Bei Paulus kann man diese Kunst lernen. Laßt uns
die Weisheit beachten, mit der er bei diesen Johannesjüngern
vorging.
1. Er verachtete sie nicht wegen ihres Mangels. Er kränkte
sie nicht mit halb spöttischem Hinweis auf das, was ihnen
gebrach. Er ließ sie fühlen, daß er sie als Jünger und
Gläubige anerkenne. Er ging in seiner Anerkennung aber auch
nicht zu weit. Vielmehr deutete er ihnen an, daß es einen
inneren Besitz gebe, der ihnen noch fehle. Aber sein Hinweis
auf diesen Mangel hatte gar nichts Verletzendes oder
Beleidigendes, weil er mit liebevoller Anerkennung ihres
Glaubens verbunden war.
Wenn wir nicht von oben herunter, sondern in brüderlicher
Liebe an die Seelen herantreten, kann Gott solchen Dienst
segnen (Sprüche 11, 2; Johannes 13, 14).
2. Nicht mit eigenen Worten gibt er ihnen die entscheidende
Ermahnung, deren sie bedurften (Vers 4), sondern mit
Johannes Worten. (,,Johannes sagte dem Volk, daß sie glauben
sollten".) Von Johannes nahmen sie ja alles gern an. Seine
Jünger wollten sie sein. Nun sollten sie sich auch von
diesem Gottesmann weiter weisen lassen.
Die Liebe sucht sich den richtigen Weg zu dem Herzen des
Mitbruders.
3. Das Erteilen der ihnen bis dahin fehlenden christlichen
Taufe und das Auflegen der Hände beweist. daß Paulus ihre
innere Echtheit nicht bezweifelte. Bei der Aufrichtigkeit
dieser Jünger wäre ein Mißtrauen oder bedenkliches Zögern
nicht am Platz gewesen. So durfte er auch die Freude erleben
und sehen, wie sie die fehlenden Gaben des Heiligen Geistes
bekamen und mit neuen Zungen den Herrn verherrlichen konnten.
Nun hatte er an ihnen rechte Helfer und Mitarbeiter für die
ernste Arbeit, die ihm in Ephesus noch bevorstand.
Wie falsch wäre es gewesen, wenn jemand diese Jüngerschar
durch eine unfreundliche, mißtrauische und schroffe
Behandlung in die Bahn einer engen Sekte getrieben hätte.
Wie leicht kann das geschehen, wenn die Weisheit des Paulus
in der Seelenbehandlung fehlt (1. Korinther 13, 7; 2.
Korinther 5, 14).