Apg 17,18
A.Christlieb
Drei Bildungsstufen in Athen.
Apostelgeschichte 17, 18. 22. 28.
Die Stadt Athen war zur Zeit des Paulus eine Stätte hoher
Bildung. Man würde sie heute Universitätsstadt nennen. Die
vornehmen Römer schickten ihre Söhne zur feineren Ausbildung
in Kunst und Wissenschaft dorthin.
Auch in unserem Text merken wir etwas von dieser höheren
Bildung. Paulus kommt in Berührung mit Anhängern
verschiedener philosophischer Schulen, die sich mit ihm ins
Gespräch einlassen. Dies Zusammentreffen interessiert uns.
Wir beobachten es näher und lauschen den Worten, die wir
dabei vernehmen.
I.
Die niedrigste Bildungsstufe der hochmütigen Spötter. Indem
wir dies tun, treten uns drei Bildungsstufen entgegen. Die
niedrigste Bildungsstufe sehen wir in den Philosophen, welche
in ihrem Hochmut Paulus als einen ,,Lotterbuben" verspotten.
Diese sich sehr ungebildet benehmenden Gelehrten glaubten
auf Grund ihrer Bildung gleichsam vom hohen Roß auf Paulus
heruntersehen und ihn ihre Verachtung fühlen lassen zu
dürfen. Dabei haben sie ihn überhaupt nicht verstanden.
Paulus war durchaus kein Mann, der Brocken fremder Weisheit
unverstanden nachschwätzte und zum besten gab, wie das
Schimpfwort (,,Saatkrähe" wörtlich) bedeutete. Er brachte
originale (ursprüngliche), eigene Gedanken, die sein
innerster Besitz waren. Nicht bei ihm, sondern bei seinen
Spöttern war die Unklarheit und das leere Geschwätz. Sie
verurteilten das, was sie nicht kannten, als ob es außer
ihrer Philosophie nichts Vernünftiges auf der Welt gäbe. Ihr
Urteil über Paulus zeichnet sich durch Oberflächlichkeit und
Hochmut aus. Ihr Bildungsstolz hat sie verblendet. Da sie
sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden (Römer 1,
22).
Vom Hochmut pflegt niemals etwas Gutes zu kommen, auch nicht
an wahrer Bildung. Welch ein trauriges Denkmal setzten sich
diese stolzen Spötter bei ihrer Begegnung mit Paulus! Wie
sie ihn verachteten, werden sie nun wieder verachtet. Ihren
Namen kennt niemand, ihre Philosophie ist veraltet. Aber der
Name des vermeintlichen Lotterbuben und seine Weisheit glänzt
jetzt noch und wird bis in die Ewigkeit leuchten.
Wohl denen, die sich durch die Scheinbildung des Hochmuts
niemals verblenden lassen. Wehe aber den Nachfolgern jener
athenischen Spötter, die das wahre Christentum verurteilen,
ohne es in Wahrheit verstanden zu haben (Psalm 119, 51).
II.
Die höhere Bildungsstufe der vorsichtiger Urteilenden. Eine
etwas höhere Bildungsstufe dürfen wir wohl in der zweiten
Gruppe von Philosophen erkennen, welche sagten: ,,Es sieht
aus, als wollte er neue Götter verkündigen". Schauen wir
diese Gruppe etwas näher an.
Sie merkten offenbar aus dem Gehörten, daß Paulus eine
andere Anschauung über Gott und göttliche Dinge habe als
die Athener. In diesem Empfinden lag etwas Richtiges.
Wie stellten sie sich nun zu dem, was Paulus lehrte? Sie
stimmten ihm zwar durchaus nicht zu. (Es ist sogar möglich,
daß eine Beimischung von Spott in ihren Worten lag.) Aber
dennoch ist ihr Urteil über Paulus wenigstens vorsichtiger,
zurückhaltender und maßvoller als das der ersten. Jene
Spötter bekundeten mit ihrem höhnischen Sich-abwenden von
Paulus, daß sie mit ihrem Urteil über ihn fertig waren.
Sie erklärten mit Bestimmtheit: Das ist ein Schwätzer
(,,Lotterbube"). Diese aber waren behutsamer. Sie sprachen
ihre Ansicht nur als Vermutung aus. (,,Es sieht so aus",
oder es scheint so, ,,als wollte er"). Sie gaben sich also
nicht den Anschein, als ob sie die Gedanken des Paulus schon
so genau durchschaut und so gründlich verstanden hätten, daß
sie über Richtigkeit oder Unrichtigkeit derselben endgültig
urteilen könnten. Sie zeigen etwas mehr Bescheidenheit als
die ersten. Sie waren der Wahrheit wesentlich näher gekommen
als jene.
Auch heute noch pflegt man richtigeres Urteil, tieferes
Verständnis und echte Bildung bei ihnen zu finden, die
behutsamer, vorsichtiger und bescheidener im Urteil sind, als
bei solchen, welche schnell und leichtfertig den Stab über
andere brechen und wegwerfend urteilen (Sprüche 15, 14).
III.
Die höchste Bildungsstufe des Paulus.
(Psalm 119, 98 - 100).
Die höchste Bildungsstufe sehen wir bei Paulus. Er
war äußerlich und innerlich wahrhaft gebildet. Zuerst in
äußeren Kenntnissen. Man hätte erwarten können. daß er
der griechischen Weltweisheit ganz fremd gegenübergestanden
hätte.
Aber das war nicht der Fall. Sein Eingehen auf die
wichtigsten Fragen ihrer Philosophie (Ursprung und Ziel
des Menschen), seine Erwähnung hervorragender griechischer
Dichter in seinem Vortrag (V. 28) beweisen, daß er auch auf
diesem Gebiet wohl bewandert war. Aber seine wichtigste
Bildung bestand nicht in der Kenntnis griechischer
Gelehrsamkeit. Sie ruhte in der Kenntnis dessen, der allein
Herz, Gemüt und Geist recht bilden kann. Äußerlich gebildet
war Paulus schon als Christenverfolger (Apostelgeschichte 22,
3). Seine beste Bildung aber fing in Damaskus an. Als all
seine eigene Weisheit zusammenbrach, als er dort sein eigenes
Herz recht kennen lernte und mit Jesus bekannt wurde; als er
in sein Bild umgestaltet wurde und seine Demut und Sanftmut
bekam, da wurde er in höchstem Sinn gebildet.
Wahre Jünger Jesu können in äußeren Dingen nicht immer die
höchste Bildung empfangen. Aber die höchste Bildung in
göttlicher Schule darf jeder genießen. Durch sie findet dann
auch etwaige äußere Bildung ihre richtige Stellung und
Bewertung.