Joh 16,10
C.O.Rosenius
Wenn aber Derselbe (der Tröster) kommt, wird er die Welt
strafen ... um die Gerechtigkeit, daß Ich zum Vater gehe.
Joh. 16, 8 u. 10
Was bedeutet dies ,,um die Gerechtigkeit, daß Ich zum Vater
gehe"? Der Geist wird die Welt strafen um die Gerechtigkeit,
und die Erklärung dafür ist ,,daß Ich zum Vater gehe". Hier
erscheint alles rätselhaft und geheimnisvoll. Deshalb wollen
wir desto besser darauf achten, damit wir die Bedeutung jener
Worte recht fassen möchten. Wenn ich früher diese Worte habe
erklären sehen und meinte, daß ich sie wohl verstanden und in
denselben nichts weiter zu suchen hätte, so wird doch noch
eine Tiefe verborgener Geheimnisse darin liegen. Ich möchte
darum Christi Angesicht sehen, als Er diese Worte redete, und
sie aus Seinem eigenen Mund hören.
,,Um die Gerechtigkeit, daß Ich zum Vater gehe." Was ist
das? Soll denn jemand um die Gerechtigkeit gestraft werden?
Wie geheimnisvoll klingt das, was der Herr als Erklärung
hinzufügt ,,daß Ich zum Vater gehe"! Und doch wird das ganze
gerade durch diesen Zusatz klar. Denn was ist es ,,daß
Ich zum Vater gehe" wohl anderes als Sein Versöhnungstod?
Christus sprach nämlich diese Worte gerade, als Er zu
Seinem Leiden ging, als Er am letzten Abend vor Seinem
Versöhnungstod von Seinen Jüngern Abschied nahm. Dann ist
es leicht zu verstehen, was diese Worte bedeuten: ,,Ich gehe
zum Vater", nämlich Ich gehe nun, um das große Werk zu
vollbringen, wozu Ich auf die Welt gekommen bin. Ich gehe
jetzt, um Mein Blut für die Sünden der ganzen Welt zu
vergießen - gleichwie Er an demselben Abend sagte, als Er das
Abendmahl einsetzte: ,,Mein Blut wird vergossen zur Vergebung
der Sünden." Mit anderen Worten: Ich gehe nun mit diesem Blut
als der rechte Hohepriester in das Heilige hinein, das nicht
mit Händen gemacht ist - in den Himmel selbst hinein. Ich
gehe hin, um alle Menschen mit Gott zu versöhnen, um eine
,,ewige Erlösung" von der Sünde und vom Fluch, um eine
,,ewige Gerechtigkeit" für alle Menschen zu erwerben - ja,
um ewig ,,vor dem Angesicht Gottes für sie zu erscheinen".
Kurz, Ich gehe, um alles zu vollbringen, was von der Welt
Anfang an verheißen ist, um der Schlange den Kopf zu
zertreten, den Sündenfall zu sühnen, das verlorene Erbrecht
und Kindesrecht bei dem Vater wiederherzustellen.
Und jetzt erkennen wir auch, daß in den Worten Zusammenhang
ist: ,,Um die Gerechtigkeit - daß Ich zum Vater gehe."
Das ist auch die Hauptlehre der ganzen Schrift. Schon im
Alten Testament sagt Jesaja ausdrücklich: ,,Der Herr warf
unser aller Sünde auf Ihn - und durch Seine Erkenntnis wird
Er, Mein Knecht, der Gerechte, viele gerecht machen; denn Er
trägt ihre Sünden" (Jes. 53). Merke dir diese Worte! Ist
das nicht dasselbe, was der Herr sagt? ,,Er trägt ihre
Sünden" , ,,Er ist um ihrer Missetat willen verwundet",
deshalb wird ,,Er viele gerecht machen". In Dan. 9 sagt der
Engel Gabriel ausdrücklich, daß in und zu derselben Zeit,
da ,,Christus ausgerottet, die Sünde zugesiegelt und die
Missetat versöhnt wird", ,,die ewige Gerechtigkeit gebracht
werden soll". - Wieviel klarer aber strahlt die Sonne der
Gerechtigkeit über dem Neuen Testament! Da sagt Paulus
ausdrücklich: ,,Gott hat den, der von keiner Sünde wußte,
für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würden in Ihm die
Gerechtigkeit, die vor Gott gilt." ,,Er ist um unserer Sünde
willen dahingegeben und um unserer Gerechtigkeit willen
auferweckt."
Alle diese vielen sonnenklaren Bibelworte haben uns wohl
früher dasselbe gesagt, was Christus mit Seinem kurzen,
rätselhaften Wort ausdrückt. Doch, indem wir nun deutlich
Seine Meinung sehen, ist es noch herrlicher, Ihn selbst in
diesem hohen, triumphierenden Ton erklären zu hören: ,,Um die
Gerechtigkeit, daß Ich zum Vater gehe"; - daß Ich - Ich, Ich
zum Vater gehe, das soll die Gerechtigkeit der ganzen Welt
sein. Daß Ich Mein Blut für die Welt vergieße, daß Ich als
Hoherpriester mit Meinem eigenen Blut zum Vater gehe, das
soll die neue Gerechtigkeit der Menschen werden, die allein
vor Gott gilt! Sie bewirkt, daß jeder das tut, wozu er
verpflichtet ist. Und diese Gerechtigkeit, sagt Christus,
wird die Welt durch Meinen Gang zum Vater, und nur dadurch
allein, erlangen. O gnadenvoller Gott! O gnadenvoller
Heilsrat! Hier sehen wir, was der liebe Gott meinte, als
Er an demselben Abend sprach: ,,Ich heilige Mich selbst
für sie." Hier wird es Ernst und Wirklichkeit, daß Christus
der ,,zweite Adam" ist und daß ,,wie durch eines Menschen
Ungehorsam viele Sünder geworden sind, also auch durch Eines
Gehorsam viele Gerechte werden." Seht, das ist nun die
Hauptsache, die wir nie aus dem Auge verlieren dürfen, daß
Christus dahingegeben ist, um an unserer Stelle zu stehen!
Daß Christus mit allem, was Er auf Erden war, tat und litt,
unser ist, unser Mittler, unser Bürge, unser zweiter Adam,
der an unserer Stelle vor dem Gesetz und vor Seinem Vater
stand, in unserem Namen die Probe bestand, an unserer Stelle
das tat und litt, was wir hätten tun und leiden sollen - ja,
so ganz und gar an unserer Stelle, als ob wir es selbst getan
hätten. Seht, das ist der Kern und das güldene Kleinod
des ganzen Evangeliums, unser hohes, heiliges
Seligkeits-Mysterium, das auch aus diesen teuren Worten
unseres Herrn Christus hervorleuchtet: ,,Um die
Gerechtigkeit, daß Ich zum Vater gehe."
Der im Namen aller Seelen
Unsern Schuldbrief übernahm,
Wußte alles herzuzählen,
Als es zum Bezahlen kam;
Was im Fleisch, in Herz und Nieren
Lange als verborgen schlief,
Nächst dem, was wir wirklich spüren,
Das stund alles in dem Brief.