Joh 11,3
A.Christlieb
Die Ankunft Jesu in Bethanien
Johannes 11, 3. 6 u. 17 a
»Da sandten seine Schwestern zu ihm und ließen ihm sagen:
Herr, siehe, den du lieb hast, der liegt krank.« - »Als er
nun hörte, daß er krank war, blieb er zwei Tage an dem Ort,
da er war.« - »Da kam Jesus.«
1. Die Ankunft Jesu war erbeten
Die Schwestern Maria und Martha hatten das Kommen Jesu
erbeten. Die Art und Weise, wie sie um seine Ankunft baten,
ist für uns vorbildlich. Sie bestürmten den Heiland in
keiner Weise. Obwohl ihre Lage durch die Krankheit ihres
Bruders Lazarus besonders schlimm war, sagten sie nicht etwa:
»Du mußt jetzt unbedingt sofort kommen.« Nein, sie sagten
Jesus nur die Tatsache der Not. Sie beschränkten sich auf
die Nachricht: »Herr, siehe, den du lieb hast, der liegt
krank.« Alles andere überließen sie dem Heiland. Wann und
wie er eingreifen sollte, das wußte er am besten.
Wie oft klingen unsere Gebete in eigenen Schwierigkeiten und
in Familiennöten ganz anders! Wir bestürmen den Herrn leicht
ungeduldig und eigenwillig. Wir meinen, er müsse sofort
für eine Änderung der Lage sorgen. Laßt uns doch mit den
Geschwistern aus Bethanien einfach unsere Lage ihm vor die
Füße legen!
Aber laßt uns sein Kommen und Eingreifen bewußt erbitten!
Laßt uns nicht in dumpfer Verzweiflung dahin brüten, sondern
die Boten unserer Gebetsseufzer zu ihm senden und sagen:
»Herr, siehe, wie das und das zentnerschwer auf mir lastet;
siehe darein, und laß dein Eingreifen zur rechten Zeit kund
werden, wie und wann du willst!«
2. Die Ankunft Jesu verzögerte sich
In V. 5 lesen wir die Versicherung von Jesu Liebe zu
den Geschwistern: »Jesus aber hatte Martha lieb und ihre
Schwester und Lazarus.« Ist dann die Tatsache seines
zweitägigen Wartens bis zum Aufbruch nach Bethanien nicht
seltsam? Ist das mit dieser Liebe zu vereinbaren? Wir
denken: »Wenn Jesus Martha und Maria lieb hat, dann wird er
keinen Augenblick zögern, sondern sofort aufbrechen, um ihre
Not zu lindern.« Wir zweifeln leicht an der Echtheit von Jesu
Liebe, wenn er uns in Nöten und Schwierigkeiten warten läßt.
Wir gleichen oft den ungeduldigen kleinen Kindern, die alle
Wünsche sofort erfüllt haben möchten und leicht trotzen, wenn
die verständigen Eltern aus Erzieherweisheit mit der
Bewilligung warten.
Was mögen die Schwestern Maria und Martha durchgemacht haben
in den zwei Tagen, um die Jesus seine Ankunft verzögerte!
Wie mancher mag damals den Kopf geschüttelt haben darüber,
daß Jesus gerade in diesem ihm so lieben Hause die erbetene
Hilfe so lange ausbleiben ließ! Wir wollen ganz ehrlich
sein: Auch wir verstehen es manchmal nicht, daß Jesus so
lange wartet, bis er kommt. Auch wir möchten oft, daß er
noch am Tage unseres ernsten Rufens ein Wunder tut und hilft.
Solche zwei Tage des Wartens kommen uns wie eine Ewigkeit
vor. Aber getrost, unser Herr kommt doch! Und dann wird
seine erbetene und verzögerte Ankunft eine gesegnete sein.
3. Die Ankunft Jesu war gesegnet
Als der Heiland des Willens seines Vaters gewiß war, brach er
auf nach Bethanien. Nun brachte seine Ankunft nach jeder
Seite hin Segen.
Segen brachte sie den Jüngern, nämlich eine tiefe
Glaubensstärkung: »Ich bin froh um euretwillen, auf daß ihr
glaubet« (V. 15). Segen brachte sie vielen Leuten in der
zusammengeströmten Volksmenge, indem sie zum Glauben erweckt
wurden:
»Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und
sahen, was Jesus tat, glaubten an ihn« (V. 45). Segen
brachte seine Ankunft vor allem der schwergeprüften Familie.
Nicht nur äußerlich bekamen die Schwestern durch die
Auferweckung ihres Bruders Lazarus die männliche Stütze in
der Familie wieder, sondern vor allen Dingen lernten sie
Jesus tiefer kennen und wurden mehr mit ihm verbunden als
je zuvor.
Eine vorzeitige Hilfe bringt keinen rechten Segen, sondern
sehr oft das Gegenteil. Aber eine Hilfe zur gottgewollten
Stunde bringt nach allen Seiten Gutes mit sich.
Ch.Spurgeon
"Da ließen ihm die Schwestern sagen: Herr, siehe, den du
lieb hast, der ist krank!" Johannes 11,3
Die Schwestern sandten zu Jesus und berichteten ihm ihre
Sorge. Laßt auch uns mit ihm über alle Nöte sprechen. Der
Herr Jesus weiß ja alles, aber es ist für uns eine große
Erleichterung, unsere Herzen vor ihm ausschütten zu können.
Als die Jünger Johannes des Täufers von der Enthauptung ihres
Führers hörten, kamen sie zu Jesus und sagten es ihm. Sie
konnten nichts Besseres tun. Sende dem Herrn Jesus eine
Botschaft in all deinem Kummer und behalte dein Elend
nicht für dich allein! Ihm gegenüber brauchst du nicht
zurückhaltend zu sein. Er wird dich nicht mit kaltem Stolz
und herzloser Gleichgültigkeit behandeln. Er ist ein Freund,
der sich uns nie entzieht.
Wenn wir dem Herrn unser Leid mitteilen und ihn fragen:
"Herr, warum bin ich krank? Ich meinte, ich könnte dir
dienen, und nun kann ich nichts für dich tun; warum nicht?",
gefällt es ihm vielleicht, dir zu sagen, warum es so sein
soll. Wenn aber nicht, so wird er dich bereit machen, seinen
Willen geduldig zu ertragen. Er wird seine Gedanken deinem
Herzen mitteilen und dich trösten, oder er wird dein Herz
durch seine Gegenwart stärken und dir schenken, daß du dich
auch der Trübsale rühmen kannst. Maria und Martha ließen es
Jesus nicht vergeblich sagen, und deshalb wirst auch du sein
Angesicht nicht vergeblich suchen.
Manche Menschen fürchten sich, für ihre Gesundheit zu beten.
Sie bitten um Vergebung der Sünden, aber wagen nicht, den
Herrn zu bitten, ihnen ihr Kopfweh abzunehmen. Doch dem, der
alle Haare unseres Hauptes gezählt hat, ist es ein Kleines,
unsere Kopfschmerzen erträglicher zu machen. Es ist ein
Beweis der Größe Gottes, daß er, während er die Himmel und
die Erde beherrscht, doch nicht so von diesen Dingen in
Anspruch genommen wird, daß er die kleinsten Schmerzen oder
Mängel irgendeines seiner Kinder vergessen könnte.
Ch.Spurgeon
"Herr, siehe, den du lieb hast, der ist krank!" Johannes 11,3
Es sollte uns nicht in Erstaunen versetzen, daß ein Mensch,
den der Herr Jesus lieb hat, krank ist; denn unsere
Gotteskindschaft schließt uns nicht von den Schwächen des
menschlichen Lebens aus. Der Gnadenbund ist kein Freibrief
gegen Auszehrung, Rheumatismus oder Asthma. Die körperlichen
Leiden werden uns bis an das Grab begleiten.
Die, welche der Herr lieb hat, werden um so wahrscheinlicher
krank sein, weil sie unter einer besonderen Zucht stehen.
Es steht geschrieben: "Welche der Herr liebt, die züchtigt
er." Leiden irgendwelcher Art sind Kennzeichen der
Gotteskindschaft, und es kommt oft vor, daß Gott Krankheiten
als Erziehungsmittel benutzt. Sollen wir uns deshalb
wundern, wenn wir das Krankenzimmer aufsuchen müssen? Wenn
Hiob, David und Hiskia leiden mußten, wer sind wir, daß wir
uns über unsere Leiden wundern?
Mancher Jünger Jesu würde von geringem Nutzen gewesen sein,
wenn er nicht durch Krankheit heimgesucht worden wäre.
Starke Naturen sind geneigt, herrschsüchtig und teilnahmslos
zu sein, und darum haben sie es nötig, in den Schmelztiegel
gelegt zu werden. Es gibt Früchte, die nicht reifen, ehe sie
geklopft werden.
Oft bewirkt auch die Krankheit der Geliebten des Herrn Segen
für andere. Lazarus' Krankheit war zur Ehre Gottes. Das
Volk Gottes und auch die Welt können aus den Leiden der
Gerechten Vorteile ziehen. Die Sorglosen können durch unser
Zeugnis in der Krankheit aufgeweckt, die Zweifelnden
überzeugt, die Ungläubigen bekehrt und die Trauernden
getröstet werden. Wenn das geschehen kann, möchten wir dann
noch Schmerz und Schwäche ausweichen? Sind wir dann nicht
zufrieden, wenn Freunde auch von uns sagen: "Herr, siehe,
den du lieb hast, der ist krank!"