Johannes

Joh 6,53 C.O.Rosenius Wahrlich, Ich sage euch: Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken Sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Joh. 6, 53.

So barbarisch und schwer zu verdauen diese Rede auch für die Welt sein mag, wenn Christus von dem Essen Seines Fleisches redet, so faßlich, lieb und belebend ist sie doch für diejenigen, die täglich in der Übung und im Genuß der Sache stehen. Die Gläubigen können, wenn sie ihr eigentliches Herzensleben beschreiben wollen, sich nie besser ausdrücken, als wenn sie sagen, daß Christi Fleisch ihre Speise und das Wort von der Versöhnung ihr größtes Lebensbedürfnis und ihre Lebensnahrung ist. Blicke nur die echten Gnadenkinder an. Ich kann sie nie besser als gerade an der Eigenschaft erkennen, daß der Trost des Blutes Christi ihr Lebensbedürfnis ist. Sie sind nicht immer, wie sie sein sollten und wie man sie sich wünschen möchte. Sie haben ihre mannigfachen Gebrechen zu bekämpfen. Eines aber zeichnet sie aus: Ihr Lebensbedürfnis ist Christus. Jahraus, jahrein fahren sie beständig mit immer dem gleichen Gegenstand ihrer Betrachtungen fort, lesen, hören, singen, schreiben und reden immer wieder vom Heiland, von Jesus und Seiner Gnade, von Christi Fleisch für uns gegeben, aber auch von der Sünde, die ihnen stets anklebt und sie träge und unwürdig macht, und wie man der Sünde Herr werden soll und dergl., und dann wieder vom Heiland, von Seiner Gnade und Macht. Ja, das Wort von Christus und der Versöhnungsgnade ist ihre rechte Speise.

Wenn sie eine Zeitlang das tröstliche Wort von der Gnade entbehrt haben, sei es wegen Verhinderung durch irdische Verrichtungen, sei es wegen Trägheit oder Versäumnis, dann ist ihr inwendiger Mensch so schwach und matt, wie ein leiblicher Körper es ist, wenn er hungrig ist und die Nahrung fehlt. Sie gehen kraftlos und unlustig einher, das Antlitz ist finster, das Bekenntnis ist verstummt, der Wandel unstet und wankend. Kommen sie jetzt aber zum Worte, dann geht es ihnen wie einem leiblich Hungrigen, der zu einer Mahlzeit kommt. Wenn sie eine Stunde bei einer evangelischen Predigt von Christus und Seiner Versöhnungsgnade gesessen haben, dann sieht man den Blick bald hell werden, das Herz wird wieder belebt, die Zuversicht und der Vorsatz zur Besserung erneuert, und wenn sie davongehen, können sie kaum darüber schweigen. Es ist ihnen nach dem Sprichwort ergangen: ,,Über einem satten Magen sitzt ein froher Kopf."

Wir sagen nicht, daß sie immer imstande sind, so zu essen, daß sie von dem Wort des Evangeliums erquickt werden, nicht einmal, daß sie immer danach hungern. Zuweilen sind sie geistlich krank und ungeschickt. Aber wenn sie jemals nach ihrem inwendigen Menschen recht belebt und gestärkt werden sollen, dann muß es durch das Wort von Christus geschehen, der für uns dahingegeben ist, und dies muß ihr beständiges Lebensbedürfnis, ihre eigentliche Seelenspeise sein.

Wer ohne das Versöhnungswort nicht leben kann, hat das sicherste Zeugnis für ein geistliches Leben und eine fortschreitende Besserung. Denn gerade die lebendige Sündenerkenntnis bewirkt das beständige Bedürfnis nach der Gnade und nach dem Wort von der Gnade. Ist es nicht ein merkwürdiges Zeichen, daß ein Mensch, der nichts so viel studiert, gelesen, gehört und betrachtet hat, wie dieses Wort der Gnade von Christus, es doch nie auslernen, es nicht behalten und sich nie desselben erinnern kann? Anderes, was ich vor dreißig, vierzig Jahren gelernt habe, kann ich behalten, nicht aber dieses mir liebste Stück, das ich am meisten, ja, täglich studiere. Zeugt das nicht davon, daß mein Glaube etwas anderes als das bloße Wissen ist, da seine Nahrung verbraucht wird wie die Speise, die ich esse? Dagegen haben andere nichts so wenig nötig wie dieses Wort von der Versöhnung, weil sie es einmal gelernt haben und jetzt wissen, weshalb sie jetzt etwas anderes hören wollen. Diese können sich nicht genug über jene schwachen und wunderlichen Christen verwundern, die nie von dem Wort von der Gnade satt werden; sie meinen darum gewöhnlich, daß dies kränkelnde Seelen sind, die nie Fortschritte machen, sondern bei dem ersten Stück, dem Gesetz und den Ermahnungen, stehenbleiben, die Heiligung aber verachten usw.

Ach, daß sie wüßten, was diese ihre Meinung von ihnen selbst verrät! Wenn sie unter der Zucht des Geistes in wahrer Übung der Buße und des Glaubens lebten, würden sie wissen, daß im Gegenteil die Seele gerade in diesen Fällen unausgesetzt aufs neue das Wort von der Gnade und von der Versöhnung Christi benötigt, weil der Geist täglich das Herz wegen aller innewohnenden Sünden treibt und züchtigt und weil das sich auf das inwendige Verderben beziehende Gesetz so tief geht, daß der Mensch nie Ruhe und Trost in seiner eigenen Frömmigkeit erhalten kann.

Ich verstehe es nicht ganz, aber etwas Seltsames muß es doch mit denen sein, die das Stück, das sie am meisten studieren, nie auslernen können. An solchen werden die Worte Christi bestätigt, daß Sein Fleisch ihre Speise ist, und dann haben sie Seine bestimmte Versicherung, daß sie ,,um Seinetwillen" auch leben werden. Und wenn dich jemand wegen der Eigenschaft beunruhigt, daß Sein Fleisch und Seine Versöhnung deine beständige Seelenspeise sind, dann sollst du getrost die Worte des Herrn bedenken: ,,Mein Fleisch ist die rechte Speise." Von denen aber, die ein solches Herz nicht haben, sondern in diesem Lebenspunkt ausgelernt haben und jetzt ebensosehr von Lehren belebt werden, die zum mindesten nie das Brot des Lebens sein können, sagt Prätorius: ,,Sie sind ebensosehr von Sirach wie von Paulus erbaut." Und solche tragen ein bedenkliches Zeichen davon, daß sie ihr Lebensbedürfnis und ihre Nahrung nicht in der Versöhnung Christi haben. Wer nicht vorsätzlich ,,das Licht scheut", muß vor diesem bedenklichen Zeichen stillhalten. Es ist ja der Herr Christus selbst, der dies gesagt hat.