Lk 22,61
C.Eichhorn
Wiederaufrichtung durch den barmherzigen Heiland
Der Herr wandte sich und sah Petrus an, und Petrus
gedachte an des Herrn Wort, wie er zu ihm gesagt hatte.
Und er ging hinaus und weinte bitterlich. Luk. 22, 61.62
Der Herr richtete den gefallenen Jünger wieder auf. Schon
vor seinem Fall hatte er für ihn gebeten, daß sein Glaube
nicht aufhören möchte. Und jetzt, als er im Hof des
Hohenpriesters an ihm vorübergeführt wurde, wandte er
sich nach ihm um. Jesus war nicht so tief versunken in den
eigenen Jammer, daß er keinen Blick mehr für den Jünger übrig
hatte. Er ließ es ihn auch nicht entgelten, daß er ihn eben
so schnöde verleugnet hatte. Es hieß bei ihm nicht: Magst
du von mir nichts wissen, so bin auch ich für dich nicht
mehr da. Er sah ihn an mit einem ernsten und doch nicht
durchbohrenden Blick, sondern mit einem Blick tiefen
Erbarmens. Der ging dem Jünger durch und durch und weckte
ihn aus dem Taumel und der dumpfen Betäubung. Er kam zur
Besinnung und gedachte an das vergessene Wort des Meisters:
Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Da
fiel seine Sünde mit ganzer Wucht auf ihn. Doch durfte er
sich sagen: Der Heiland hat mich noch nicht weggeworfen, er
will doch noch etwas von mir wissen, hat er doch einen Blick
suchender Liebe nach mir gesendet. Da schmolz sein Herz, er
ging hinaus und weinte bitterlich. - Der Heiland wirft einen
gefallenen Jünger nicht gleich weg. Er hat für Petrus schon
vor seinem Fall gebetet, daß sein Glaube nicht aufhöre, daß
er nicht ende in der Nacht der Verzweiflung wie Judas. So
haben auch wir ihn, wenn wir sündigen, als Fürsprecher beim
Vater. Er läßt auch auf uns, wenn wir uns verirrt haben,
einen Blick fallen, der uns zur Ernüchterung bringt. - Der
Seher Johannes sieht das Lamm Gottes mit sieben Augen. Es
sind die sieben Geister Gottes, die vom erhöhten Heiland
ausstrahlen. Seine Augen senden Geistesblicke. Bald
beunruhigen und erschrecken sie, wenn sie uns etwas
aufdecken, was verwerflich ist. Bald sind es Gnadenblicke,
die ein Herz trösten, das um seine Sünde bekümmert ist.
Solche Geistesblicke machen uns das Wort, das wir hören,
eindrucksvoll, so daß es ganz persönlich zu uns spricht.
Oder sie bewirken, daß uns ein früher aufgenommenes Wort in
den Sinn kommt und Licht in der Seele verbreitet. - Jesus
entzieht uns seine Blicke nicht, wenn wir, wie Petrus, vom
Bösen überrumpelt worden sind. Dieser Jünger hat zwar mit
vollem Bewußtsein, aber doch nicht vorsätzlich gesündigt, wie
Judas oder auch Ananias und Saphira. Seine große Verfehlung
und die noch größere Gnade, die er erlebte, machten Petrus
barmherzig und setzten ihn in den Stand, schwache und
fehlende Brüder zu stärken im Glauben an die Gnade. Wie
Jesus sich nach ihm umwandte und ihn nicht kalt seinem
Schicksal überließ, so kehrte auch er sich später zu den
fallenden Brüdern, um ihnen aufzuhelfen. Durch Erfahrung
unserer Schwachheit und der unendlich großen Gnade werden
wir erst wahrhaft priesterlich gesinnt gegen die fehlenden
Brüder.
Ch.Spurgeon
"Und der Herr wandte sich um und sah Petrus an. Da erinnerte
sich Petrus an das Wort des Herrn." Lukas 22,61
Welch ein Anblick muß das für Petrus gewesen sein! Das
Angesicht unseres Herrn trug die Spuren von Gethsemane.
Sein Körper muß erschöpft gewesen sein, und seine ganze
Erscheinung bot ein Bild des Leidens. Wenn ein Bild des
Schmerzensmannes hätte gezeichnet werden sollen, so wäre dies
der geeignete Augenblick gewesen, als sich der Herr umdrehte
und Petrus ansah. Beim Fackellicht und der flackernden
Flamme des Feuers im Hofe sah Petrus den leidenden Herrn, und
dieses Bild grub sich tief in seine Seele ein. Er erblickte
den Mann, den er liebte, wie er ihn nie zuvor gesehen hatte.
Es war derselbe Herr, mit dem Petrus auf dem Berg der
Verklärung gewesen war. Obwohl das Antlitz des Herrn mit
Blut befleckt war, so konnte Petrus doch erkennen, daß es
derselbe Mann war, mit dem er drei Jahre lang vertraut gelebt
hatte.
All dies muß in einem Augenblick die Seele des Petrus
durchzuckt haben, und ich wundere mich nicht, daß er in der
Erinnerung daran hinausging und bitterlich weinte. Er liebte
seinen Herrn ja wirklich. Mit seinem Herzen hatte er den
Herrn nicht verleugnet, sondern mit seiner vorschnellen
Zunge. Nun zerfloß sein Herz vor Traurigkeit, daß er einen
solchen Freund verleugnet hatte.
Der Herr machte Petrus keinen Vorwurf. Ein Blick genügte, um
Petrus seine Torheit und des Meisters überlegene Weisheit
deutlich zu machen. Wir lesen, daß Petrus an die Worte
Jesu dachte: "Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal
verleugnen!" Der Herr frischte mit seinem Blick das
Gedächtnis des Petrus auf und richtete eine Mahnung an
sein Gewissen. Aber dennoch war in den Augen des Herrn nur
vergebende Liebe zu lesen, die ausdrückte: "Petrus, ich liebe
dich dennoch! Du hast mich verleugnet, aber ich habe dich je
und je geliebt und dir nicht den Rücken zugewandt."
Wenn ich daran denke, was mein Herz am ehesten brechen würde,
wenn ich meinen Herrn so verleugnet hätte, so meine ich, wenn
er zu mir spräche: "Wenn du mich auch verleugnet hast, liebe
ich dich dennoch."
Ch.Spurgeon
"Und der Herr wandte sich um und sah Petrus an. Da erinnerte
sich Petrus an das Wort des Herrn . . . Und er ging hinaus
und weinte bitterlich." Lukas 22,61-62
Die Wiederherstellung des Petrus wurde durch zwei äußere
Mittel herbeigeführt. Ich denke gern an die seltsame
Verbindung: das Krähen des Hahnes und der Blick des Herrn.
Ich sehe in diesem armen Hahn ein passendes Bild für mich
selbst. Mein Predigen ist ein armseliges Krähen; aber ich
hoffe, daß sich des Meisters Blick mit meiner schwachen
Predigt verbinden wird.
Wenn du ausgehst und versuchst, eine Seele für Christus zu
gewinnen, dann sage dir dabei: "Ich selbst bin unfähig, ein
hartes, aufrührerisches Herz zu schmelzen; aber der Herr kann
meine Worte gebrauchen."
In dem Blick des Herrn erkenne ich zuerst seine sorgende
Liebe. Der Herr ist gebunden, er wird angeklagt, man hat
ihn ins Gesicht geschlagen, aber seine Gedanken sind bei
dem irrenden Petrus.
Gelobt sei sein Name, daß er immer ein Auge für sein Volk
hat, ob er nun verachtet oder verherrlicht ist!
Ich betrachte gern seine grenzenlose Herablassung. Hätte
unser Herr seinen Blick auf Johannes gerichtet, so würde uns
das nicht verwundern. Aber der Herr blickt auf den, von dem
wir uns unwillkürlich abgewandt hätten, nachdem er sich so
jämmerlich betragen hat. Daß der Herr der Herrlichkeit einen
Jünger ansieht, der ihn verleugnet hat, ist grenzenlose
Herablassung.
Ich sehe in dem Blick des Herrn auch eine freundliche
Weisheit. Er wußte am besten, was Petrus nötig hatte. So
sprach er nicht zu ihm, sondern sah ihn an. Er hatte früher
zu ihm gesprochen, und diese Stimme hatte ihn zum Menschen
fischer gemacht. Jesus hatte Petrus die Hand gereicht, um
ihn vor dem Ertrinken zu bewahren. Aber diesmal gibt er
ihm weder Stimme noch Hand, sondern das, was Petrus jetzt
braucht: Der Herr blickte Petrus an.
Wie weise wählt der Herr stets die Art, in welcher er seine
Liebe ausdrückt, um das Beste in uns zu bewirken. Keine
Worte hätten ausdrücken können, was in diesem Blick des
Erbarmens lag.