Lk 22,48
C.H.Spurgeon
,,Verrätst du des Menschen Sohn mit einem Kuß?"
Lk. 22, 48.
Das Küssen des Hasses ist ein Gewäsche, spricht Salomo. Nimm
dich in acht, wenn dir die Welt ein freundliches Gesicht macht,
denn womöglich betrügt und verrät sie dich ebenso mit einem Kuß,
wie deinen Meister. Wenn ein Mensch dem Christentum unversehens
einen Hieb versetzen will, heuchelt er gewöhnlich große Achtung
vor demselben. O, ich will auf der Hut sein vor der gleißenden
Heuchelei, dieser Waffenträgerin der Feindschaft und
Gottlosigkeit. Weil ich das falsche Wesen der Ungerechtigkeit
erkenne, so will ich klug sein wie die Schlangen, um die
Absichten des Feindes zu erraten und zu vereiteln. Der
,,närrische Jüngling" ward verführt vom ,,Weib im Hurenschmuck"
mit einem Kuß, ,,bis sie ihm mit dem Pfeil die Leber spaltete":
möchte doch meine Seele heute durch Gottes Gnade so viel
Weisheit lernen, daß ,,die vielen Worte" und der ,,glatte Mund"
der Welt keinen Einfluß über mich gewinnen. Heiliger Geist! gib
nicht zu, daß ich armer gebrechlicher Menschensohn mit einem Kuß
verraten werde.
Aber wie, wenn ich mich derselben verfluchten Sünde des Judas,
dieses verlornen Kindes, schuldig gemacht hätte? Ich bin getauft
worden im Namen des Herrn Jesu; ich bin ein Glied seiner
sichtbaren Gemeinde auf Erden; ich komme zu seinem
Abendmahlstisch: alles das sind ebensoviele Küsse meines Mundes.
Bin ich aufrichtig in dem allen? Wenn nicht, so bin ich ein
niederträchtiger Verräter. Lebe ich ebenso sorglos in der Welt
wie andre, und erfreche mich dennoch zu sagen, ich sei ein
Jünger Jesu? Dann mache ich ja die Gottesfurcht zum Spott und
reize die Menschen zur Lästerung des heiligen Namens, den ich
trage. Gewiß, wenn ich so unredlich handle, so bin ich ein
Judas, und es wäre mir besser, daß ich nie geboren wäre. Darf
ich hoffen, daß ich hierin unschuldig sei? Dann, o Herr, bewahre
mich. O Herr, mache Du mich aufrichtig und treu. Behüte mich vor
allen Wegen der Falschheit. Laß nie zu, daß ich Dich, meinen
Heiland, verrate. Ich habe Dich lieb, o Herr Jesu, und wenn ich
Dich gleich oft betrübe, so möchte ich Dir doch von Herzen gern
treu bleiben bis in den Tod. O Gott, bewahre mich, daß ich nicht
in meinem Bekenntnis ein mächtig emporrauschender Adler sei und
zuletzt doch in den Feuerpfuhl hinabstürze, weil ich meinen
Herrn und Meister sollte verraten haben mit einem Kuß.