Lk 19,5
C.Eichhorn
Gestilltes Heilsverlangen (II)
Als Jesus kam an die Stätte, sah er auf und ward sein gewahr
und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilends hernieder; denn ich
muß heute in deinem Hause einkehren. Luk. 19, 5
"Jesus sah auf." Die innere Stimme sagte ihm: "Hier ist eine
Seele, die deiner bedarf!" Zwischen ihm und Zachäus war
bereits ein Band geknüpft. Er weiß um die Kämpfe seiner
Seele. So nennt er ihn auch mit Namen, obwohl er ihn noch
nie gesehen hatte. Es entgeht dem Heiland nicht, wenn in der
Seele eines sonst satten und selbstgerechten Menschen ein
Hunger nach Gerechtigkeit anhebt. Sein Geistesohr vernimmt
den Schrei des erwachenden Gewissens. Die Sehnsucht
eines Herzens nach Leben und Frieden übt auf ihn eine
Anziehungskraft aus. Ihn zieht es unwiderstehlich nach solch
gottverlangenden Menschen. Sie sind ihm vom Vater zugewiesen
und "gegeben", er betrachtet sie als kostbare Geschenke. -
Zachäus erhielt sehr viel mehr, als er gehofft hatte. Er
sehnte sich, Jesus zu erblicken, und erhielt nun einen Blick
von Jesu, aus dem ihm die rettende Liebe entgegenstrahlte.
Das war kein kalter, auch kein vorwurfsvoller Blick, wie er
ihn freilich verdient hätte. Es war der Blick des Guten
Hirten, der sein verirrtes Schäflein fand. - Jesus gönnte
ihm nicht nur einen Blick, sondern auch ein Wort, ja,
er verheißt ihm Einkehr in seinem Hause. "Steig eilends
hernieder!" Wo es sich um die Rettung der Seele handelt, tut
Eile not. Bei gleichgültigen Dingen ist es einerlei, ob man
sie heute oder morgen oder überhaupt nicht tut; aber wo das
Heil der Seele auf dem Spiel steht, da ist Aufschub nicht
am Platz. Wer in diesem Fall säumt, kann sich um alles
bringen. Wenn unser leibliches Leben durch Feuersbrunst
oder Wassersnot in Gefahr kommt, säumen wir auch keinen
Augenblick. Ist die Seele nicht mehr als der Leib? Es ist
wirklich unverantwortlich, wenn man in dieser wichtigen Sache
zaudert und wartet. - Der Herr Jesus setzte seinerseits auch
etwas aufs Spiel, als er in das Haus des Zöllners einkehrte.
Es "murrten" alle, als sie sahen, daß er bei einem Sünder
einkehrte. Es gab in Jericho so manche ehrbare Leute; warum
muß er gerade in diesem anrüchigen Haus einkehren? Jesus
fragt nach niemandem. Was ihn der Vater heißt und der Drang
der rettenden Liebe ihm gebietet, das tut er. Niemals hielt
ihn eine falsche Rücksicht zurück, die Wahrheit zu sagen oder
auch eine Liebe zu erweisen (Luk. 14, 1 - 4).
"Ich muß heute bei dir einkehren." Es ist das heilige Muß,
das Jesus erfüllte. Schon in seinem zwölften Jahre mußte er
sich mit dem abgeben, was seines Vaters war. Kein Druck oder
Zwang von außen her hat ihn je im geringsten beeinflussen,
keine Drohung ihn bewegen können, auch nur einen Tag früher
seine Arbeit abzuschließen (Luk. 13, 31 - 33). - "Heute":
so heißt es beim Heiland; nicht morgen oder später einmal,
wie es bei uns leider oft üblich ist. Er besinnt sich nicht
und schiebt nicht auf, er errettet heute und jetzt. Wenn
seine Hilfe länger ausbleibt, liegt die Schuld allein auf
unserer Seite.
C.H.Spurgeon
Zachäus, steige eilends herab. Luk. 19, 5.
Die Berufung Gottes ist eine eilige. Wenn der Sünder gerufen
wird, so antwortet er: "Morgen." Wenn er eine ernste Predigt
hört, so sagt er: "Ich will mich bald zu Gott bekehren;" die
Tränen fließen über seine Wangen, aber sie werden bald wieder
abgewischt. Einiges Gute kommt zum Vorschein, aber es wird
wieder, wie die Morgenwolke, zerstreut durch die Sonne der
Versuchung. Der Mensch sagt: "Ich gelobe feierlich, von jetzt
an mich zu bessern. Wenn ich noch einmal meine Lieblingssünde
genossen habe, so will ich meinen Lüsten entsagen und mich für
Gott entscheiden." Dieser Ruf haftet nicht. Er führt zwar zu
guten Vorsätzen, aber der Weg zur Hölle ist, wie man sagt, mit
lauter guten Vorsätzen gepflastert. Diese guten Vorsätze sind
die Frucht einer allgemeinen Berufung. Der Weg zum Verderben
ist ganz mit Zweigen von den Bäumen belegt, worauf die Menschen
sitzen und wovon sie oft nur Zweige abbrechen und sie
hinunterwerfen, ohne selbst herabzusteigen.
So gibt es viele Menschen, welche ihren Pfad mit Bußgelübden
und Versprechungen bestreuen, um leichter und geräuschloser
in das Verderben hinabzusinken. Aber der Ruf Gottes ist nicht
ein Ruf auf den morgenden Tag. "Heute, so ihr seine Stimme
höret, so verhärtet eure Herzen nicht, wie es geschah in der
Verbitterung, am Tag der Versuchung in der Wüste."
Die Gnade Gottes kommt immer mit Eile; und wenn du von Gott
gezogen wirst, so läufst du Ihm nach und sprichst nicht von
Aufschub auf die Zukunft. Morgen - Morgen - steht in Satans
Kalender, und sonst nirgends. Morgen - ist ein Felsen, weiß
gemacht durch die Gebeine der Seeleute, die daran Schiffbruch
erlitten haben. Morgen - ist die Trinkschale, welche nach der
Fabel des Dummkopfes am Fuß des Regenbogens liegt, welche aber
noch niemand gefunden hat. Morgen - ist die schwimmende Insel,
die noch niemand gesehen hat. Morgen - ist ein Traum, eine
Täuschung. Morgen - ja Morgen magst du deine Augen in der Hölle
aufheben und in der Qual dich befinden. Aber jede Uhr sagt
"Heute;" dein Puls, dein Herzschlag sagt "Heute." Alles ruft
"Heute;" und der heilige Geist spricht: "Heute, wenn ihr seine
Stimme hören wollt, so verhärtet eure Herzen nicht