Lk 15,6
S.Keller
Luk. 15, 6: «... Freuet euch mit mir: denn ich habe mein
Schaf gefunden, das verloren war.»
Je mehr Gewicht auf dem Worte "verloren" lag, um so heller
tönt's wider in dem Worte "gefunden". Welch ein hilfloses,
unglückliches Geschöpf ist ein verirrtes, verlorenes Schaf!
Wie viel bitterer ist der Schmerz um ein Kind, das im
weglosen Bergland sich verirrte und zwischen schroffen Felsen
hungernd in der Nacht erfroren war, ehe die Helfer es fanden.
Aber was ist das gegen den Jammer um ein in Sünde und Schande
verlorenes Kind, das kein Wort der Liebe und der Mahnung
mehr erreicht! So war die ganze Menschheit in Gottes Augen
verloren, so suchte Jesus sie - so freut er sich über einen,
den er wirklich gefunden. Gerade weil er die Tiefe des
Verlorenseins ganz anders ermißt als wir, ist das Finden eine
so große Sache in seinen Augen. Nun, liebe Seele, wenn du
heute abend doch ganz gewiß darüber bist, daß dich der gute
Hirte längst gefunden hat, dann laß dir das auch so groß sein
wie ihm! Dann laß doch das helle Licht dieser Freude wie
einen Scheinwerfer über deine Augenblicksschmerzen und Sorgen
fallen: Sein bin ich doch! Er hat mich gefunden. Sollte ich
jetzt über den Kleinigkeiten von heute, die nicht über eine
gute Nachtruhe hinüber ihre Schatten werfen können, mich
aufregen und grämen?
Herr, ich bitte dich, laß den tiefen starken Ton deiner
Freude darüber, daß du mich gefunden, all die kleinen
Klagen übertönen, die mein Herz zum Verzagen bringen
wollen. Ich bin dein und in deinen Händen. Amen.