Lk 12,32
C.Eichhorn
Furchtlosigkeit der Kinder Gottes
Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es ist eures
Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben. Luk. 12, 32
Wer mächtig ist durch seinen Einfluß, stark durch seine Kraft
und durch die Zahl derer, die zu ihm halten, braucht sich
nicht zu fürchten. Die Herde des Herrn Jesu aber ist klein
an Zahl, an Einfluß und an Kraft. Es gehören zu ihr meist
nur "kleine Leute". Gilt einer in der Welt etwas, muß er
erst klein werden. - Diese kleine Herde ist umgeben von
Wölfen. Es fehlt nicht an feindlichen Angriffen und
Widerstand. Schon das Volk Gottes im Alten Testament mußte
bekennen: "Sie haben mich oft gedrängt von meiner Jugend
auf." Jesaja aber redet die Gottesgemeinde mit den Worten
an: "Du Leidvolle, über die alle Wetter gehen!" Eben die
Anfeindung, der Spott und die Verachtung sind ein Hauptgrund,
warum die Herde so klein ist. Der Weg der Schmach gefällt
vielen nicht.
- Doch die kleine Herde hat einen großen und guten Hirten.
Er ist der gute, der schlechthin gute Hirte. Er liebt seine
Schafe wie sich selbst; denn er hat sie mit seinem eigenen
Leben erworben. Er kennt und pflegt sie und leitet sie auf
rechter Straße, mögen noch so viele Schwierigkeiten und
Gefahren sich erheben. Er ist kein Mietling, der seine
Schafe verläßt, wenn der Wolf kommt, sondern die Schafe sind
sein Eigentum, und für sie ist er unter Dahingabe seines
Lebens eingetreten. Er lebt für sie, und niemand kann sie
aus seiner Hand reißen. Der Herr Jesus ist allem gewachsen.
Wenn Menschen wider ihn wüten, so legt er Ehre ein, und wenn
sie noch mehr wider ihn wüten, ist er auch noch gerüstet.
Darum fort mit aller Furcht; denn Ursache zur Furcht ist
nicht vorhanden. Die einzige Furcht des Schäfleins soll die
sein, daß es von dem Hirten abkommen könnte. Alles andere
besorgt er. - Klein und schwach sind die Schafe. Schwach
und doch stark, weil sie einen starken Hirten haben. Klein
und doch groß, weil der große Hirte der Schafe sie in seine
Pflege genommen hat. Und einst werden sie das Königreich
empfangen. Denn es ist des Vaters Wohlgefallen, gerade der
kleinen Herde einst die königliche Herrschaft zu übergeben.
Wenn der Heiland erscheint, empfangen sie das Weltregiment
und werden mit ihm regieren. Das ist der Wille Gottes. Und
was er will, muß geschehen. Dem Apostel Paulus wurde einst
die Versicherung zuteil: "Du mußt nach Rom kommen!" Nun
stellte sich ihm alles mögliche in den Weg: böse Anschläge,
Schiffbruch, eine giftige Otter, die ihm an die Hand fuhr.
Aber Paulus kam nach Rom; denn Gott wollte es. Gegen die
kleine Herde stürmt es von allen Seiten. Und zuletzt kommt
der größte Sturm: die Trübsal unter dem Antichrist. Es
scheint aus mit ihr zu sein. Aber Gottes Wille ist, daß sie
das Königreich erlangt. Einst wird der Ruf ertönen: "Der
allmächtige Gott hat das Königreich eingenommen!" Dann
übergibt er es der kleinen Herde. Wahrlich, es ist der Mühe
wert, sich zu dieser kleinen Herde zu halten und bei ihr
auszuharren!
C.O.Rosenius
Fürchte dich nicht, du kleine Herde; denn es ist eures Vaters
Wohlgefallen, euch das Reich zu geben. Luk. 12, 32.
Welch ein herrlicher Trost und welche Beruhigung für
diejenigen, die das Reich Gottes suchen, dabei aber große
Schwachheit fühlen und befürchten, daß sie es nicht erreichen
könnten, - welch ein Trost, wenn sie über die Bedeutung eines
solchen Wortes des Herrn aufwachen könnten. Denn Seine Worte
,,Fürchte dich nicht" müssen ja die Verheißung enthalten, daß
Er, der alle Gewalt hat, uns vorwärtshelfen wird, wie übel es
für uns auch aussehen mag.
Aber hier muß doch genau beachtet werden, daß Er nicht zu
allen Menschen ohne Unterschied redet. Er sagt ausdrücklich,
wer diesen Trost haben soll. Er sagt: ,,Du kleine Herde."
Gewiß ist der Herr gnadenvoll gegen alle Menschen, das kann
nicht anders sein; trotzdem aber sind viele in einem solchen
Zustand, daß sie wirklich Grund haben, sich zu fürchten, ja,
das allerärgste zu befürchten, was gedacht werden kann, daß
sie nämlich geradezu verdammt werden und nie das Reich Gottes
zu sehen bekommen sollen. Zu ihnen sagt der Herr nicht:
,,Fürchte dich nicht." Es ist darum wieder notwendig,
zwischen verschiedenen Seelenzuständen zu unterscheiden,
während es ,,heute" heißt, wo noch allem abgeholfen werden
kann, wenn wir nur die Stimme des Herrn hören wollen.
Dieses Trostwort ,,Fürchte dich nicht" sagt der Herr nur
Seiner kleinen Herde, nur denen, die Er als Seine Schafe
bezeichnet. Und bei Joh. 10 sehen wir, wie Er ganz
besonders von den Schafen redet und spricht: ,,Ich kenne
Meine Schafe und bin bekannt den Meinen." ,,Sie hören Meine
Stimme und folgen Mir, und niemand wird sie aus Meiner Hand
reißen!" Und in dem Text vom Jüngsten Tag sagt Er, wie Er
dann alle Menschen scheiden wird, die einen von den anderen,
gleichwie ein Hirte seine Schafe von den Böcken scheidet; die
Schafe wird Er zu Seiner Rechten stellen und die Böcke zur
Linken. Alles läuft darauf hinaus, wie der Herr in Seinen
Urteilen zwischen den verschiedenen Seelen unterscheidet. Er
redet überall lieblich und tröstlich zu denen, die Er Seine
Schafe nennt; zu denen dagegen, die zu Seiner Linken stehen,
sagt Er die schrecklichsten Worte: ,,Geht hin von Mir, ihr
Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel
und seinen Engeln!"
Darum, wie tröstlich und lieblich unsere Textworte auch sind,
so müssen wir, um weder selbst betrogen zu werden, noch
jemanden zu betrügen, doch beachten, daß dieser Trost nur
denen gehört, die Jesus als Seine Schafe erkennt und von
denen Er sagt: ,,Sie hören Meine Stimme, sie folgen Mir."
Er sagt nicht, daß sie so gut, so treu und so stark sind,
wie sie sein sollten, am allerwenigsten sagt Er, daß sie
sündenfreie Heilige seien. Nein, wohl sind sie Sünder, wie
sie selbst bitterlich beklagen. Aber während die ganze Welt
frei nach der Lust und den Gedanken des eigenen Herzens lebt,
werden sie als Jesu Schafe trotz aller ihrer Gebrechen doch
von Seiner Stimme geleitet und fragen unausgesetzt nach
Seinem Wort und Seinem Wohlgefallen. Sie hangen Ihm an,
werden von Seinem Wort gestraft und gezüchtigt, von eben
diesem Wort aber auch getröstet und durch das ganze Leben
getreulich geleitet.
Du, der du gern ein rechter Christ sein willst und der du den
Heiland und Sein Evangelium nicht entbehren kannst, aber
unter so vielen ungebührlichen Sünden leidest, so daß du
befürchtest, das Reich Gottes nie zu sehen zu bekommen, und
der du oft nahe daran bist, ganz zu verzweifeln und alles
fahren zu lassen, durch eine besondere Gnade Gottes aber noch
immer an deinem Heiland hängst und Ihn und das ewige Leben
nicht ganz verlassen kannst - höre, was der Herr in unserem
Texte spricht, der Herr, der zuletzt am Jüngsten Tag alle
richten wird, der einzige, den wir zu fragen haben. Denn wem
sollte ich glauben, wenn nicht Ihm? Und Er sagt nun hier:
,,Fürchte dich nicht, du kleine Herde; denn es ist eures
Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben." Höre, welch
ein fester Grund für unseren Trost, dieses ,,eures Vaters
Wohlgefallen" ist. Hier werden unser Trost und unsere
Hoffnung wieder nur auf den eigenen Willen und das freie
Geben der göttlichen Majestät gegründet. Darum glaube gewiß,
daß dies auch der einzige Grund ist. Sobald du nur eins der
Schafe seiner kleinen Herde bist, so gibt Er dir das Reich.
Das war das freie Wohlgefallen des Vaters. Denn ,,Er hat uns
verordnet zur Kindschaft gegen (für) sich selbst durch Jesus
Christus, nach dem Wohlgefallen Seines Willens."
Und was ist nun der Wille und das Wohlgefallen des ewigen
Vaters? So spricht der Herr: ,,Daß Er euch das Reich gebe."
Welchen will Er das Reich geben? Euch, die ihr die kleine
Herde seid, voller Gebrechen im Glauben, im Gehorsam, im Mut
und im Verständnis. Deshalb will Er euch das Reich als ein
freies Geschenk, als eine freie Gabe geben. ,,Denn aus
Gnaden seid ihr selig geworden durch den Glauben, und
dasselbe nicht aus euch; Gottes Gabe ist es." Eine Gabe
ist es! ,,Nicht aus den Werken, auf daß sich nicht jemand
rühme." Denn gerade deshalb gibt Er es denen, die eine kleine
Herde sind, nicht aber den Starken und Mutigen, wenn auch
diese letzteren hinsichtlich der Werke weniger zu bereuen und
zu beweinen haben. ,,Denn ist es aus Gnaden, so ist es nicht
aus Verdienst der Werke; sonst würde Gnade nicht Gnade sein."
Und nun ist es des Vaters Wohlgefallen, daß Er, während wir
wirklich alle Sünder sind, das Reich denen geben will, die
ihre Sünden erkennen, Gnade suchen und im Glauben leben.
Wohlan, nun hat es keine Not,
Kommt her, ihr armen Herden!
Kauft Wein und Wasser, Milch und Brot;
Der Mann bezahlt's, der weiß und rot;
Umsonst soll alles werden.
J.Kroeker
Von der Reichsgottesoffenbarung im Sohn.
"Sei ohne Furcht, du kleine Herde, denn es hat eurem Vater
gefallen, euch das Königtum zu geben." Luk. 12,32.
Gott ist ein Gott kleiner Anfänge. Das Königreich der Himmel
soll "euch" werden. In diesem persönlichen Fürwort ist die
ganze Unscheinbarkeit der kleinen Jüngerschar ausgedrückt,
von der Jesus sich umgeben sah. Wird nicht die Größe des
Inhalts das so menschliche, ja allzumenschliche Gefäß
sprengen? Werden nicht die "Kleingläubigen" und
"Unverständigen" das Evangelium des Sohnes völlig
missverstehen? Werden nicht sie, denen die "Geheimnisse
des Himmelreiches" anvertraut wurden und die "den Schlüssel
des Himmelreiches" empfangen haben, das Königreich Gottes
aufs Neue den Armen im Geist, den Mühseligen und Beladenen,
den Hungernden und Dürstenden, den Zöllnern und Sündern
verschließen? Wird nicht Gottes verborgenes Wirken in der
Mission der Jünger zur fanatischen Propaganda, das Fleisch
gewordene Wort zum heiligen Buchstaben, die durch Erleuchtung
des Geistes gewirkte Erkenntnis nur zu einem pflichtgemäßen
Dogma und Bekenntnis werden?
Gewiss, das alles - und unendlich mehr - drohte dem
angebrochenen Gottesreich. Dem allen ist es im Laufe der
christlichen Zeitrechnung unzählige Male verfallen. Es ist
aber nicht untergegangen. Es fiel nicht mit dem Jünger. Es
wurde nicht Staat mit dem christlichen Weltstaat, es wurde
nicht Buchstabe mit dem dogmatischen Bekenntnis. Zwang der
Mensch das Reich Gottes erst in die Formen und in die Art
seines eigenen Wesens, baute erst die Kirche das Reich
Gottes, anstatt dass sie sich vom Reich Gottes bauen ließ,
dann überließ das Königreich der Himmel dem Menschen den
Schein des Himmelreiches. Jedoch die Kraft desselben stand
daneben, trat in neuen Jüngern auf. Wäre das Königreich der
Himmel die Schöpfung der Kirche und nicht die Kirche die
Schöpfung des Himmelreiches, gewiss, dann wäre das Reich
Gottes längst auf Erden untergegangen.
Gott fürchtete sich jedoch nie, im Verlauf der Geschichte
mit seiner Wahrheit und Offenbarung in die kleinen und
unscheinbaren Dinge hinabzusteigen. Er begann seine
Gottesschöpfung innerhalb der Menschheit nie mit Macht und
Glanz, sondern hüllte sie in die kleinsten, unscheinbarsten
Anfänge. Es ließ sich in die alte Welt tragen durch die
Botschaft der Apostel und durch das Zeugnis und das Leben der
schlichtesten Jesusjünger. Innerlich überwältigt von dieser
Erscheinung konnte Paulus mithin seinen Brüdern in Korinth
schreiben: "Seht doch einmal: wer ist bei euch zum Heil
berufen, Brüder? Da finden sich nicht viele Weise nach
menschlichem Urteil, nicht viele Einflussreiche, nicht viele
Edelgeborene. Vielmehr, was der Welt als töricht gilt, das
hat sich Gott erwählt, damit er die Weisen beschäme."
J.Kroeker
Von der Reichsgottesoffenbarung im Sohn.
"Sei ohne Furcht, du kleine Herde, denn es hat eurem Vater
gefallen, euch das Königtum zu geben." Luk. 12,32.
Gott ist ein Gott großer Dinge. Was den Jüngern vom Vater
gegeben werden soll, das ist "das Königreich der Himmel".
Wonach Propheten viele Jahrhunderte ausgeschaut, was ihr Mund
als Offenbarung Gottes gekündet, ihr Griffel auf Pergament
zum Trost kommender Geschlechter verewigt hatte, das sollten
sie in ihrem Leben in Erfüllung gehen sehen. Es lag in
diesem Jesuswort etwas so Überraschendes für die Jünger,
ja es war eine der grandiosesten Paradoxien der Geschichte.
Ihnen, den Fischern vom See Genezareth, sollte werden, um was
letzthin Könige und Cäsaren mit ihren Völkern Jahrtausende
schon gekämpft hatten: Das Königreich. Was anderen durch
Politik und Macht, durch Religion und Kultus nicht geworden
war, sollten sie in der schlichten, einfachen Nachfolge Jesu
finden: eine Welt der sozialen Gerechtigkeit, der göttlichen
Vollmachten, des ewigen Friedens, der gegenwärtigen
Gottesherrschaft.
Nach menschlichen Maßstäben gemessen, war so eine Sprache
völlig unverständlich. Aber Jesus sah bereits in den
kleinsten Anfängen einer in der Seele seiner Jünger
beginnenden Gottesherrschaft die Herrlichkeit eines kommenden
vollendeten Gottesreiches. In dieser Freude konnte er bei
einer anderen Gelegenheit in seliger Anbetung sprechen: "Ich
preise dich, o Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du
dies den Weisen und Klugen verborgen und es den Einfältigen
geoffenbart hast. Ja, Vater, so hat dir's gefallen!" Dieser
Ausbruch der innerlichen Freude geschah nicht etwa auf Grund
überraschender Erfolge, die Er in der letzten Zeit durch sein
Wirken erzielt hatte. Im Gegenteil, selbst Johannes der
Täufer hatte seine Jünger mit der Frage zum Herrn gesandt:
"Bist du der Kommende, oder sollen wir noch auf einen anderen
warten?" Johannes konnte nicht verstehen, dass Jesus in
seinem messianischen Wirken so bei Einzelheiten stehen blieb.
Wartete doch auf allen Gebieten des menschlichen Lebens die
Not auf den Retter, die Versklavung auf den Erlöser, die
Ungerechtigkeit auf die Gerechtigkeit, die Finsternis auf
das Licht. Jesus lässt seinem alten Freund und Wegbereiter
sagen: "Blinde werden sehend, Lahme gehen, Aussätzige werden
rein, Taube hören, ja Tote werden auferweckt und Armen wird
die Botschaft vom Heil verkündigt, und selig, wer nicht
an mir irrewird." Jesus ließ sich nicht entmutigen und
seine reine Freude nicht trüben, dass die verheißene
Gottesherrschaft auf Erden zunächst in Einzelerscheinungen
zum Durchbruch kam. Geschehenes war ihm Garantie für das
noch zu Geschehende.