Lk 11,2
C.O.Rosenius
Dein Name werde geheiligt! Luk. 11, 2.
Diese Bitte muß eine tiefe Bedeutung haben und sehr wichtig
sein, weil Jesus sie zur ersten Bitte gemacht hat. Hinzu
kommt noch, daß sie augenscheinlich dasselbe wie das zweite
Gebot im Gesetz Gottes bezweckt: ,,Du sollst den Namen des
Herrn, deines Gottes, nicht mißbrauchen" - eben jenes Gebot,
an das die furchtbare Drohung geknüpft ist: ,,Der Herr wird
den nicht ungestraft lassen, der Seinen Namen mißbraucht." Da
nun ein so ganz besonderes Gewicht auf dieses Gebot und diese
Bitte gelegt wird, so müßte ein jeder zu ahnen anfangen,
daß hier ein großes Geheimnis verborgen liegen muß, da doch
gerade dieses Gebot und gerade diese Bitte allen natürlichen
Menschen am unwichtigsten erscheinen.
Was meint Christus nun mit der Bitte ,,Geheiligt werde Dein
Name"? Um Klarheit darüber zu erhalten, müssen wir bedenken,
was der Name Gottes besagen will. Was ist der Name Gottes?
Er ist alles, was Gott ist, mit allen Seinen göttlichen
Eigenschaften und Vollkommenheiten. Um aber zu beschreiben,
was Gott ist, dazu ist alle Offenbarung Gottes auf Erden
erforderlich. Trotzdem können wir Ihn nur ganz unvollständig
fassen. Er hat sich zuerst in Seinen erschaffenen Werken
offenbart. Aus dieser Offenbarung aber schauen wir, wenn man
so sagen darf, nur Sein Äußeres. Seines Herzens Gedanken,
Seine göttliche Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Sein Wille
und Sein Ratschluß in bezug auf uns Menschen wären uns für
immer verborgen geblieben, wenn Er sich nicht auch im Wort
offenbart hätte, zunächst im geschriebenen und endlich auch
im wesentlichen Wort, das Fleisch wurde und unter uns wohnte
als der Glanz der Herrlichkeit Gottes und als das Ebenbild
Seines Wesens. Darum ist auch das ganze Wort Gottes
erforderlich, um Ihn kennenzulernen. Kurz, der Name Gottes
läßt sich nicht so schnell beschreiben, wie auch der Engel
des Herrn andeutet, als Manoah Ihn nach Seinem Namen fragte.
Er antwortete: ,,Warum fragst du nach Meinem Namen, der doch
wundersam ist?" - oder vielleicht richtiger: ,,Er heißt
Wunderbar."
So fragte auch Mose den Herrn nach Seinem Namen und erhielt
die Antwort: ,,Ich werde sein, der Ich sein werde", und
abermals: ,,Ich werde sein." Das ist die Bedeutung des Namens
Jahwe. Das ist der Name Seines majestätischen Wesens, dem
Er noch viele Zusätze angefügt hat, die sowohl furchtbare als
auch liebliche Beschreibungen Seiner Eigenschaften enthalten.
So kann z. B. jener Name uns durch Mark und Bein gehen,
wenn Er sagt: ,,Ich, der Herr, dein Gott, bin ein starker,
eifriger Gott" - ja, wenn Er ein ,,verzehrendes Feuer", ein
erschrecklicher Gott für alle Gottlosen, der Allmächtige,
Gerechte, Heilige, Große genannt wird. Das Wort Gottes
fließt aber auch von lieblichen und seligen Namen unseres
Gottes über. So heißt Er z. B. der Barmherzige, Gnädige,
Geduldige, Fromme, Treue. Vor allem wird Gott als zu unserer
Errettung im Fleisch offenbart Immanuel genannt, d. h. Gott
mit uns, ferner Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig-Vater,
Friedefürst. Er nennt sich auch unser Tröster, Freund,
Hirte, Bräutigam, Bruder, Vater. Wer kann wohl alle Namen
des Höchsten herzählen, die wie ein lieblicher Balsam über
das ganze Wort Gottes ausgeschüttet sind?! Salomo sagt:
,,Dein Name ist eine ausgeschüttete Salbe."
Wie könnten wir es aber unterlassen, besonders eines Namens
zu gedenken, der über alle Namen ist und der für Sünder
lieblicher als alle Namen ist, die jemals im Himmel und auf
Erden genannt werden können - des Namens, in dem allein wir
selig werden sollen, des Namens, der die Mühseligen und
Beladenen erquickt, die Betrübten tröstet, die Verwundeten
heilt, die Gefangenen erlöst, die Armen reich macht, des
Namens, der die Sünde tilgt und uns gerecht, ja, selig macht!
Das ist der teure Name, den Gott sich in Seinem Sohn gegeben
hat, der trostreiche Heilandsname ,,Jesus". In diesen Namen
hat Gott Sein ganzes Herz für die Sünder, Seinen ewigen
Heilsrat, Seine Liebe, Seine Barmherzigkeit, Seine Geduld,
Seine Treue hineingelegt - alles, alles was einen Sünder
selig machen kann, hat Gott in den Namen ,,Jesus"
hineingelegt. Dieser kurze Name ist ein ganzes Evangelium,
- das Heil der Sünder ist seine Bedeutung.
Aber jetzt merken wir, daß, während wir diese
bedeutungsvollen Namen Gottes sowie andere heilige Worte
Gottes betrachten, Gott selbst anfängt, sich unseren Seelen
mitzuteilen, verklärt, groß, herrlich, gnädig, je nach den
Namen der Beschreibung, die wir soeben betrachtet haben. Wir
merken, daß es nicht nur ein hebräischer Sprachgebrauch ist,
,,Gottes Name" zu sagen, wenn man Gott selbst meint, sondern
auch wir pflegen das gleiche zu tun. Wenn jemand von der
Person seines Nächsten, dessen Worten und Werken übel redet,
so sagen wir: ,,Er setzt seinen Namen herab." Und wenn wir
dies bedenken, dann merken wir: Zur Heiligung des Namens
Gottes gehört alles, was bewirkt, daß Gott den Menschen
verherrlicht und von denselben recht erkannt, geehrt und
geliebt wird, während hingegen alles, was dazu beiträgt, den
Begriff von Gott zu entstellen oder die Ehrfurcht vor Ihm und
Seinem Wort, vor Seinem Werk und Seiner Sache auf Erden zu
verkleinern, Seinen Namen entheiligen genannt werden muß.
Geheiligt werd' der Name Dein!
Dein Wort bei uns hilf halten rein,
Daß wir auch leben heiliglich
Und Deinem Namen würdiglich.
Behüt' uns, Herr, vor falscher Lehr;
Das arm' verführte Volk bekehr'.
C.O.Rosenius
Dein Wille geschehe! Luk. 11, 2.
Diese Bitte setzt ein ,,Gott den Herrn" liebendes Herz
voraus, das nur auf das Wohlgefallen Gottes blickt. Sie
fordert das Herz eines guten Kindes, das ,,keinen Willen
hat", sondern nur den Willen des Vaters will, und das keines
weiteren Grundes bedarf, als daß es das Wohlgefallen des
Vaters ist. Man kann etwas Gutes, Edles, Nützliches,
Notwendiges lieben, und doch ist das nicht dasselbe wie
den Willen Gottes zu lieben. Denn es genügt nicht, daß wir
dieselben Gegenstände lieben, die Gott liebt, sondern wir
sollen Sein eigentliches Wohlgefallen lieben, ohne Rücksicht
auf die Sache, die Er will. Wir sollen Ihn also lieben und
um Seines Wohlgefallens willen alles das lieben, was Er will,
auch wenn es uns noch so arg und schwer erscheinen mag. Als
Abraham den Befehl erhielt, seinen Isaak, ,,den Sohn der
Verheißung", zu opfern, konnte er unmöglich einen Grund dafür
einsehen, und doch tat er es - nur wegen des Willens Gottes.
Und nun fordert die dritte Bitte, daß wir einen solchen
Willen Gottes nicht nur ertragen, sondern ihn auch so lieben
sollen, daß wir um denselben bitten. Wir dürfen nämlich nie
vergessen, daß das Gebet Herzenssache sein muß, nicht ein
Werk des Verstandes oder des Befehls, sondern das Begehren
und Verlangen des Herzens.
Wenn nun der Wille Gottes Tod und Kreuzigung des alten Adams
ist, und wenn zudem alle Menschennatur frei sein will und
ihren eigenen Willen liebt, dann muß man wohl fragen: ,,Wie
kann ein Mensch ein solches Herz erhalten, das den Willen
Gottes so liebt, daß man wirklich um ihn bittet?"
Ein solches Herz erhält man nie - ob man sich auch dafür
zu Tode plagt - als nur durch eine Neugeburt aus Gott. Wenn
ein Mensch von seiner eigenen Bosheit und den heiligen
Forderungen des Gesetzes ganz ermüdet ist und endlich als
ganz unwürdig von der großen, unverdienten Gnade überwältigt
wird, so daß er ausruft: ,,O Jesus, das ist zuviel"; wenn er
in Seinem Blut seine ganze Reinigung, in Seiner Liebe seine
ganze Seligkeit erhält, wenn Gottes Liebe also in sein Herz
ausgegossen ist, dann wird ihm auch Gottes Wohlgefallen
köstlicher sein als alles, was gedacht oder genannt werden
kann. Dann wird die erste Frage des Herzens die sein: ,,Was
kann ich Dir zu Gefallen tun, Du unvergleichlicher Heiland?
O, daß ich nur den Willen Gottes tun möchte!" Und dann weiß
man nichts anderes, als nur das, was der himmlische Vater
will. Dann kennt man kein größeres Übel als sein eigenes
Herz und spricht in vollem Ernst: ,,Töte Du, O Gott, meinen
Willen, ich kann ihn nicht töten!" Betet man so gegen sich
selbst, dann betet man um den Willen Gottes. - Wenn ich also
von der Bosheit meines eigenen Willens ermüdet und alsdann
durchdrungen bin von Gottes Größe, so daß Sein Wille mir mehr
als meine Seligkeit gilt, durchdrungen von Seiner Liebe und
Leutseligkeit, so daß alles wohl ist; wenn nur Sein Wille
geschieht, dann habe ich ein solches Herz, das wirklich den
Willen Gottes liebt.
Hier muß nun ein jeder seinen eigenen Zustand genau beachten!
Hier haben wir ein Stück, das das Innerste unseres Herzens
offenbart, und wir erinnern noch einmal daran, daß das Gebet
Ausdruck der eigenen Fürsorge, Sehnsucht und Angelegenheit
des Herzens sein muß. Nicht jeder wird diese Bitte beten
können. Wir reden hier nicht von dem großen Haufen, der ganz
frei ,,nach den Begierden des Fleisches" lebt. Es gibt noch
andere Menschen, die diese Bitte nicht recht beten können.
Du, der du dieses liest, halte nur einen Augenblick still
vor dem Angesicht Gottes, vor den Augen, die das Herz, die
Gedanken und Absichten durchschauen. Wie steht es mit dir
in dieser Beziehung? Du kannst dir wohl selbst bewußt sein,
ob du mit solcher Fürsorge, solchen Seufzern und Gebeten
umzugehen pflegst wie diese: ,,Zeige mir, Gott, Deinen
Willen! Hilf mir Deinen Willen zu tun!" Denn es ist ja
unmöglich, daß der Heilige Geist in einem Herzen wohnen
kann, ohne solche Sorgen in ihm zu erregen.
Ein Christ kann zwar oft so zerstreut über die Bitte ,,Dein
Wille geschehe" hinweggehen, daß er ihr nicht einmal mit den
Gedanken folgt; und doch ist dieses immer wieder sein
Herzensgebet: ,,Gott, mein Vater, mein Heiland, hilf mir, daß
ich Deinen Willen tue! Hilf mir gegen meine gräßliche
Trägheit! Gib mir Deines Heiligen Geistes Trieb und Kraft,
Deinen Willen zu tun; und weise mir, Herr, Deinen Weg, daß
ich wandle in Deiner Wahrheit!" Eben das ist ganz bezeichnend
für ein Herz, in dem der Heilige Geist wohnt, und ein Teil
dessen, was die Kinder des neuen Bundes auszeichnen sollte
und wovon der Herr spricht: ,,Ich will Mein Gesetz in ihr
Herz geben und in ihren Sinn schreiben." ,,Das Gesetz Gottes"
ist ja der Wille Gottes. Ob es nun in Herz und Sinn
geschrieben ist, erkennt man daran, ob das Herz den Willen
Gottes liebt und ob ich einen Sinn habe, der innig seufzt:
,,Ach, daß ich Dein Gesetz von ganzem Herzen halten könnte!
Ach, daß ich Gottes Willen tun könnte!"
Wir sagen nicht, daß ein Christ ein vollkommener Mensch ist.
Es findet sich in seinem inneren Leben und in seinem äußeren
Wandel viel, was recht gebrechlich ist; auch kann er gegen
seine Unarten nicht so wachen, beten und streiten, wie er
sollte und wollte. Es gibt kein Volk, das so viele Mängel
kennt, wie gerade die Gläubigen. Beachte aber trotzdem!
Wenn ein Christ versteht, daß dies oder jenes Gottes Wille
ist, dann ist das sogleich sein Lebensgesetz, und dann will
er es auch vollführen. Und wenn das Fleisch jetzt gegen den
Geist streitet, dann entsteht Gebet, entsteht der Kampf und
das Gebet um den Willen Gottes. Wir müssen darum unbedingt
daran festhalten, daß jeder Christ ein solches Herz und einen
solchen Sinn haben muß.