Lukas

Lk 10,25 C.Eichhorn Nur scheinbarer Hunger nach Leben Ein Schriftgelehrter versuchte Jesus und sprach: Meister, was muß ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe? Luk. 10, 25

Die Frage, mit der dieser Schriftgelehrte an den Herrn Jesus herantrat, ist die allerschwerwiegendste. Von der richtigen Lösung hängt eine Ewigkeit ab. Für den Schriftgelehrten aber war diese Lebensfrage eine bloße Kopf- und Schulfrage. Bei ihm ging die Religion im Wissen auf. Er war keine heilsverlangende, suchende Seele. Er wollte den Heiland nur auf die Probe stellen, ob er wohl auch von der Bibel etwas verstehe. Solche Leute gibt es auch heute noch, die sich mit der Bibel, überhaupt mit göttlichen Dingen, nur verstandesmäßig beschäftigen. Sie lassen sich gern in Dispute ein, um mit ihren Kenntnissen zu glänzen, wollen dabei stets recht haben und alles besser wissen. Jesus hat diesen wissens-stolzen Schriftgelehrten nicht einfach abgewiesen. Aber er hat ihn mit Weisheit und in heiliger Überlegenheit beschämt. Jesus brennt danach, allen Menschen zu dienen, die Niedergeschlagenen zu trösten, die Selbstzufriedenen unruhig zu machen. Er fragt den Schriftgelehrten, weil er doch so gesetzeskundig ist: Wie steht im Gesetz geschrieben? Der Schriftgelehrte will doch nicht als unwissend dastehen und gibt die richtige Antwort. Er verrät damit, daß es ihm kein wirklicher Ernst war mit seiner Frage, sondern daß er den Heiland nur aushorchen wollte. Darum fragt er halb aus Verlegenheit, um den Schein zu wahren, als wollte er sich doch Aufschluß holen: "Wer ist denn mein Nächster?" Jesus gibt ihm nicht etwa eine genaue Umschreibung und Abgrenzung des Begriffes "Nächster". Denn die Frage: Wer ist denn mein Nächster? wird nicht in der Schule und auf dem Papier entschieden, sondern in den Nöten des Lebens. Was half es dem Juden, der unter die Mörder gefallen war, daß der Priester und Levit dem Namen nach zu seinen Nächsten oder Brüdern gehörte? Sie handelten ja nicht brüderlich an ihm und überließen ihn seinem Schicksal. Der Samariter gehörte streng genommen nicht in diesen Bruderkreis; denn die Juden wollten die Samariter nicht als Brüder anerkennen. Gleichwohl handelte der Samariter als Bruder an dem unglücklichen Juden. Jeder ist dein Nächster, der deiner Hilfe bedarf. Führe den Brudernamen nicht nur im Munde, handle brüderlich! Das fromme Wissen und die frommen Worte machen's nicht, sondern die Tat. Mancher rechnet sich zu dem engeren Kreis derer, die Brüder in Christus sind. Aber in der Not wird er nicht als Bruder erfunden. Wehe über solche! Wohl allen, die nicht viel Wesens machen von ihrer christlichen Einsicht, um so mehr aber christlich handeln! Besser als alles Kopfwissen, in dessen Besitz der Mensch sich selbst bespiegelt und betrügt, ist der Hunger nach Leben und die fromme Lebensbetätigung. Vielleicht nahm der Schriftgelehrte einen Stachel im Gewissen mit fort. Vielleicht dämmerte ihm, daß er ganz neu anfangen müsse. Dann war Jesu Absicht bei ihm erreicht.