Lk 9,25
C.O.Rosenius
Welchen Nutzen hatte der Mensch, wenn er die ganze Welt
gewönne und verlöre sich selbst? Luk. 9, 25.
Es ist eine unschuldige Sache, irdische Güter oder Ländereien
oder eine Frau zu besitzen; als Christus aber die Hindernisse
darlegen wollte, die vom Reiche Gottes abhalten, nannte Er
diese (Luk. 14,18-24). Vater und Mutter zu lieben, ist
nicht nur unschuldig, sondern befohlen. Christus aber
spricht: ,,Wer Vater und Mutter mehr liebt denn Mich, der
kann nicht Mein Jünger sein", kann nicht in das Reich Gottes
eingehen. Wenn der Mensch nun in geistlicher Trägheit und
Sicherheit einhergeht, wie würde er sich dann vor Begierden
fürchten können, die so unschuldige Dinge zum Gegenstand
haben? Dann blickt er nur auf die Art des Gegenstandes und
denkt: Es ist ja nichts Böses, was ich suche; haben nicht
auch die Heiligen irdische Güter, Ländereien oder eine Frau
gehabt? Sollte nicht auch ich nach solchem trachten dürfen?
Dabei will er nicht darauf achtgeben, ob das Suchen
abgöttisch, eigenwillig und selbstisch ist, ob die Sache den
Sinn und das Herz so einnimmt, daß Gott, Seine Gnade und Sein
Wohlgefallen dem gegenüber ein Nichts werden, zu unbedeutend,
um die Seele befriedigen oder erfreuen zu können. Darauf
gibt der arme Mensch nicht acht. Er ist nicht aufrichtig
genug gegen sich, dies zu untersuchen. Schließlich kommt es
so weit, daß er, obwohl er fühlt, wie handgreiflich er von
einem Götzen gefangen ist und ganz festgehalten wird, dennoch
keinen Widerstand mehr leisten kann. Er will nicht einmal
von seiner Liebe dazu befreit sein, und dann - dann sieht
es traurig mit dem Gnadenleben aus.
Aber der Teufel wendet nicht nur die Dinge an, die in der
Welt sind, Augenlust, Fleischeslust usw., um die Seelen der
Gläubigen zu fangen, sondern auch die Menschen, die ,,von
der Welt", ,,Kinder dieser Welt" sind. Sie sind die treuen,
willigen Diener des Teufels, um die Gläubigen bald mit
Feindschaft, Drohungen und Verfolgungen einzuschüchtern,
zu hindern oder zu ermüden, bald sie mit Verheißungen,
Schmeicheleien und freundlichem Bemühen zu locken und
zu ziehen. Gar viele traurige Beispiele gibt es dafür.
Da ist ein Handwerker. Er war durch Gottes Gnade gerufen,
erweckt und begnadigt worden, war herausgegangen von der
Ungerechtigkeit, Eitelkeit und Weltlichkeit und trachtete
jetzt nach dem, was droben ist. Nach einiger Zeit aber
bemerkte er, daß viele seiner früheren Bekannten sich nicht
mehr an ihn wandten, er bemerkte eine Abnahme im Geschäft
und in den Einkünften. Bald konnte er nicht mehr aushalten,
auf den Herrn zu harren. Er faßte vielmehr den Gedanken,
daß es für ihn notwendig sei, die Freundschaft der Welt
wiederzugewinnen. Jetzt fing er an, sein Christentum zu
verheimlichen, sich der Welt gleichzustellen, sich solchen
Christen zu entziehen, die von der Welt verachtet sind und
sich zu solchen zu halten, die die Welt gern hat und rühmt,
sowie zu besseren Weltmenschen. Kurz, er fing an, sich so zu
stellen, daß die Kinder der Welt nicht argwöhnen sollten, er
sei ein anderer als sie, oder daß er mit Besorgnis an ihren
Seelenzustand denke. Er fing an, im kleinen nachzugeben,
ihnen zu Willen zu sein und an ihren Zusammenkünften und
feineren weltlichen Vergnügungen teilzunehmen. Bald war die
Welt freundlich und froh in der Hoffnung, ihn gewonnen zu
haben, und bald leitet sie ihn, wohin sie will. Nach einigen
Jahren kann er mit der Welt sowohl trinken als auch spielen
und alles das tun, was das Fleisch gelüstet.
Solch ein unglücklicher Rückfall ins Netz der Welt geschieht
aber nicht nur Handwerkern, sondern auch Menschen aus allen
Ständen und in allen Verhältnissen - hier einem Kaufmann,
dort einem Studenten, hier einem jungen Mädchen, dort einem
Prediger. Sie waren zu Jesus gekommen, aber sie konnten
es nicht ertragen, sich von der Welt verachtet oder
zurückgesetzt, ihren guten Ruf und ihr Auskommen, ihr Brot,
ihre Beförderung geschmälert zu sehen. Sie fangen an, danach
zu trachten, die Freundschaft der Welt wiederzugewinnen und
sich derselben gleichzustellen. Aber denke niemand, daß
einer von ihnen dann sprechen würde: Ich bin der Welt
gegenüber schwach. Nein, diese traurige Sache wird jetzt
bemäntelt mit dem Reden von der Freiheit eines Christen, ja,
von der Pflicht eines Christen, sich, um der Welt zu dienen,
nicht von derselben zu trennen. Nie aber kommt die Stunde,
in der dieser Nutzen, dieser Dienst der Welt mit einer
ernstlichen Warnung bewiesen wird; denn es muß immer
vorsichtig und glimpflich zuwege gegangen werden, daß man
nicht anstößt und Ärgernis gibt. Daher kommt es dann, daß
die freie, dreiste Welt mehr über das fromme, nachgiebige
Kind herrscht, als dieses über jene. Und wenn der arme
Mensch nicht beizeiten hierauf achtgibt, aufbricht,
,,hinausgeht und bitterlich weint", sondern fortfährt, ,,am
fremden Joch mit den Ungläubigen zu ziehen", dann wird er
schließlich ein Knecht unter diesem Joch, unter der Welt und
der Menschengunst. Die geistliche Gnadenkraft ist
verschwunden, die Freundschaft mit Gott ist aufgehoben - denn
,,der Welt Freundschaft ist Gottes Feindschaft" -, und das
Band zwischen den Gläubigen ist zerrissen, wie ja immer das
eine aus dem anderen folgt: ,,Demas hat mich verlassen und
diese Welt liebgewonnen." Und wenn man nun den Christen und
den Büchern aus dem Wege geht, die das Urteil über einen
solchen Zustand verkündigen, dann fällt man mehr und mehr der
Verhärtung anheim, was zudem in der Natur eines jeden Abfalls
liegt.
Wach und bete recht, werd' nicht Satans Knecht,
Laß dich von der Welt nicht kaufen!
Wonach ihre Kinder laufen,
Ist nur Eitelkeit. Wach und bet' allzeit!
Ach, verscherze nicht dein Erbteil im Licht!
Halt dich an die Schrift und wache,
Dir selbst und der Welt entsage,
Dein Erbteil am Licht, ach, verscherz es nicht!