Mk 10,22
C.Eichhorn
Der Stachel im Herzen
Er ward voll Unmut über die Rede und ging traurig davon.
Mark. 10, 22
Jesus liebte ihn, und aus Liebe versetzte er ihm einen
schweren Schlag. Sein Herz war bei seinen vielen Gütern, und
so war's ein Stoß mitten durchs Herz. Es war ein Zug nach
oben in der Seele des Jünglings, aber auch ein Zug nach
unten, und dieser war zunächst noch stärker. Ach, wir ahnen
oft selbst nicht, was alles auf dem Grunde unserer Seele
lagert! Es sind so mancherlei Strömungen in uns, auch
Unterströmungen, deren wir uns selbst nicht voll bewußt sind.
Wir machen uns oft schöne Vorspiegelungen und leben in süßen
Träumen. Aus ihnen weckt uns Jesus unsanft, aber heilsam,
durch sein Wort und durch Menschen, die den Geist der Liebe
haben, der unerbittlich wahr ist und tödlich verwunden kann,
um gründlich zu heilen. - Laß ihn nur den Schleier
wegreißen, die Sonde anlegen und in die faule Stelle
hineinstechen! Er holt dich herunter von den Wolken und
wirft dich auf den Boden der nackten Wirklichkeit, doch nur,
um dir den Himmel aufzuschließen. Er facht in deiner Seele
den Kampf zwischen Fleisch und Geist an. Zuvor war ein
unklares Gemenge von beiden. Nun läßt er das zweischneidige
Schwert eindringen, das Seele und Geist scheidet. Dann kommt
der Widerstreit. Wer wird nun siegen: Fleisch oder Geist?
Wohin du deinen Willen neigst, das entscheidet dein
Schicksal. - Der Jüngling ging "unmutig" und traurig von
dannen. Es wogte in ihm gewaltig. Im Fleisch regte sich der
Trotz: Das ist eine unerhörte Zumutung: alles verkaufen und
herschenken! Das ist empörend. Aber dann regte sich auch
die Stimme des Gewissens: wie, wenn es in der Tat Gottes
Wille ist, daß du dein alles darangibst? Warum fällt ihm die
Entscheidung so schwer? Weil sein Herz am Reichtum hängt,
weil Gott, der allein Gute, noch nicht sein höchstes Gut ist.
Vielleicht hatte das Gewissen den Sieg davongetragen, und er
kam, um, befreit von der Last des Geldes, die süße Last des
Kreuzes Jesu auf sich zu nehmen. Aber Jesus zwingt keinen,
er will niemand nur schnell zu sich ziehen. Besser, es wird
einer zunächst abgestoßen. Dann hat er Gelegenheit,
auszustoßen, was nichts taugt. Sonst schleppt er es mit fort
und verseucht sich und den Kreis, in den er vorzeitig
hineinkommt. Jesus weiß, daß er den jungen Mann gewinnt,
wenn er durch den Stachel im Gewissen überwunden wird. Und
dann hat er ihn wirklich und nicht zum Schein. Bei uns wird
oft viel Scheinarbeit getrieben. - In jedem Fall gab es für
ihn keinen anderen Weg zum ewigen Leben als den des völligen
Verzichts auf alles irdische Gut.
Es ist dies kein Gesetz für alle Begüterten. Jesus hat für
jeden seinen besonderen Weg, keine Schablone. Bei diesem
Jüngling war eine Radikalkur notwendig. Wer zum ewigen Leben
kommen will, muß loslassen, was ins Verderben und in die
Verdammnis führt. Wer reich werden oder sein will, kann
nicht selig werden. Sobald du ganz willst und nichts anderes
willst als nur Gott, so hast du ihn. Er schenkt sich dir in
Jesus.