Mt 26,68
A.Christlieb
Spottworte als köstliche Gebete
Matthäus 26, 68; 27, 25; 27, 29
In der Leidensgeschichte unseres Herrn hören wir die Feinde
drei entsetzliche Spott- und Lästerworte gegen den
verurteilten Heiland sagen, die wir - freilich in einem
andern Sinn, als sie ursprünglich gemeint waren - als
köstliche Gebetsworte uns aneignen dürfen.
1. »Weissage uns, Christe, wer ist's, der dich schlug?«
So sprechen nach Matth. 26, 68 einige Diener des
Hohenpriesters Kaiphas, die den Heiland nach seiner
Verurteilung mit Fäusten schlagen. Sie meinen, einen Witz zu
machen, indem sie Jesus auffordern, er möge ihnen kraft der
prophetischen Erleuchtung den Täter nennen. Welch eine
Roheit!
Aber dieses gemeine Spottwort, mit dem jene Lästerer das
prophetische Amt Jesu lächerlich zu machen versuchen, dürfen
wir in eine heilige, ernste Bitte verwandeln. Wir dürfen vor
das Lamm Gottes treten mit der Bitte: Laß uns durch göttliche
Erleuchtung klar werden, wer dir diese Schmerzen zugefügt
hat! Brauche deine prophetische Macht, um uns kundzutun, wer
dich schlug! Wenn nicht Jesus durch sein himmlisches Licht
uns erleuchtet, dann merken wir nicht, daß wir selbst die
Missetäter sind, die ihn so furchtbar zugerichtet haben.
Unsere Sünden haben ihn an das Kreuz gebracht:
Nun, was du, Herr, erduldet,
ist alles meine Last,
ich hab es selbst verschuldet,
was du getragen hast.
Wer das erkannt hat, darf dann weiter flehen:
Schau her, hier steh ich Armer,
der Zorn verdienet hat;
gib mir, o mein Erbarmer,
den Anblick deiner Gnad'!
2. »Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!«
So spricht nach Matth. 27, 25 der Volkshaufe zu Pilatus, als
dieser sich öffentlich die Hände wäscht, um seine Unschuld am
Tod Jesu zu bezeugen. Dieses Wort bedeutet: "Du kannst ruhig
sein, Pilatus. Die Verantwortung für die Verurteilung des
Mannes von Nazareth tragen wir. Dich soll keine Schuld
treffen. Wir nehmen alles auf uns." Ja, mit frevelhaftem
Leichtsinn stellen sie sich unter die Blutschuld dieses
Todes, die dann bei der Zerstörung Jerusalems durch die Römer
in so furchtbarer Weise heimgesucht wird.
Was jener Volkshaufe in schrecklicher Leichtfertigkeit
spricht, das dürfen wir in demütiger Beugung erflehen: »Laß
dein heiliges Versöhnungsblut über uns kommen zur Reinigung
und Heiligung. Laß es auch über unsere Kinder und
Hausgenossen kommen, damit sie mit uns ewig geborgen sind
in deiner Vergebungsgnade.« Wie jenes Volk sich durch sein
frevelhaftes Wort dem göttlichen Zorn und Strafgericht
aussetzt, so dürfen wir durch das gleiche Wort dem Gericht
entfliehen und ewig sicher sein. Wohl allen, die nicht
ruhen, bis sie das teure Blut Jesu Christi, des Lammes
Gottes, auf sich und ihre Häuser herab gefleht haben!
3. »Gegrüßet seist du, der Juden König!«
So höhnen nach Matth. 27, 29 die römischen Kriegsknechte,
als Pilatus das Todesurteil über Jesus gesprochen hat. Sie
hängen dem Heiland einen alten purpurfarbenen Offiziersmantel
um, beugen die Knie zum Spott und sprechen obigen Gruß. Sie
wollen damit sagen: »Das ist einmal ein sonderbarer König,
der hier als zum Tode verurteilter Verbrecher vor uns steht.«
Sein jämmerlicher Anblick reizt, mit ihm ganz besonderen
Spott zu treiben.
Sie wußten nicht, was sie taten. Wir aber dürfen das,
was jene im Spott getrieben haben, in wahrer Herzens
Ehrfurcht tun. Wir dürfen vor dem um unserer Sünde willen
zerschlagenen Heiland die Knie beugen, ihn als König seines
Volkes verehren und ihn wahrhaftig anbeten. Wir dürfen ihn
grüßen als unsern Herrscher, den Gott erhöht hat und vor dem
einmal alle Knie sich beugen müssen.