Mt 25,5
C.O.Rosenius
Da nun der Bräutigam verzog, wurden sie alle schläfrig und
schliefen ein. Matth. 25, 5.
Diese Worte Christi von den zehn Jungfrauen sehen wir täglich
vor unseren Augen in Erfüllung gehen in der unbegreiflichen
Schläfrigkeit und Lauigkeit, die im allgemeinen in der
Christenheit vorherrscht. Die Welt ist tot, selbstsicher
und verstockt. Heuchler betrügen sich von Jahr zu Jahr mit
falschem Christentum und falscher Hoffnung. Die Erweckten
und die Christen werden vergeßlich, schläfrig, saumselig,
bleiben auf halbem Wege stehen oder kehren ganz in den
geistlichen Tod zurück.
Und die Ursache ist die, daß der Bräutigam verzog. Die
Zeit wird lang und einförmig. Es ereignet sich nichts
Merkwürdiges und Ungewöhnliches. Es ist heute wie gestern,
und in einem Jahr wie im anderen. Man sieht keine besonderen
Zeichen der Wiederkunft des Herrn. Die Gottlosen freuen sich
in allem Wohlergehen, scheinen glücklich, sicher und froh.
Wer den Herrn fürchtet und das Unsichtbare sucht, wird als
Tor verlacht; er hat oft Unglück und Widerwärtigkeit, tausend
fesselnde Sachen kommen vor sein Ohr und Auge, und sein Herz
ist der Erde zugeneigt. Alle reden für die Welt, niemand
aber oder nur wenige kommen uns mit einem Wort der Warnung,
der Erweckung oder des Trostes entgegen. Das Wort Gottes
wird versäumt, das Gebet, das Bekenntnis und damit die
Verfolgung bleiben aus. Hier ist darum der böse Tag und die
Macht der Finsternis, wo auch ein Christ schläfrig, kalt
wird. Und schläft er lange, dann kann dabei wohl auch das
Öl, das er einst hatte, austrocknen; er wird sicher,
verstockt und geistlich tot.
Die Schläfrigkeit und Kälte, in die auch lebendige Christen
fallen, erweist sich darin, daß das Geistliche und Himmlische
ihnen zuzeiten gering und unwichtig, dagegen das Irdische
groß und wichtig wird. Sie erweist sich darin, daß ein
Christ zu gewissen Zeiten mit sich ganz zufrieden und ganz
sicher wird, keine Beschwerde von der Sünde spürt, keinen
Streit zwischen dem Geist und dem Fleisch, keine Furcht
vor dem Feinde hat, sich selbst in keiner Weise beargwöhnt,
ähnlich wie Petrus, der wenige Stunden, bevor er seinen Herrn
verleugnete, noch versicherte: ,,Wenn sich auch alle an Dir
ärgern, werde ich mich doch nimmermehr ärgern." Was den
redlichen Geist kennzeichnet und einen lebendigen Christen
von einem toten unterscheidet, ist dies, daß der erstere bald
in Besorgnis über sich gerät, bald einen erweckenden Blick
von seinem Herrn erhält und hinausgeht und bitterlich weint.
Oder wenn es mit der Sicherheit so weit geht, daß Gott
äußere Mittel zur Strafe und Züchtigung anwenden oder einen
strafenden Nathan senden muß, dann läßt er es sich zum Nutzen
gereichen, nimmt die Warnung und Bestrafung zu Herzen,
bekennt seine Sünde und Schläfrigkeit und will besser werden.
Dagegen gilt als Zeichen dafür, daß der Schlaf und die
Sicherheit in Verstockung und Tod übergegangen sind, oder als
Zeichen eines falschen Christen, wenn man immerfort zufrieden
und ruhig ist, sich nicht warnen läßt, sondern entweder wie
Judas Ischarioth mit einer bewußten Sünde fortfährt und sie
leugnet, verbirgt und verteidigt, oder wie die törichten
Jungfrauen äußerlich in allen Dingen den klugen ähnlich ist,
dabei aber in der verborgenen Tiefe des Herzens der Erfahrung
der Gnade und des Lebens ermangelt und es in aller Stille
damit bis auf weiteres beruhen läßt, - bis die Tür
verschlossen ist! O, welch ein erschrecklicher Zustand, wenn
ein Mensch nicht mehr die Fähigkeit zu ernstlicher Besinnung
hat, nicht mehr fähig ist, stillzuhalten und die Fragen
seiner Seele zu bedenken, sich vor sich selbst zu fürchten
und sich zu mißtrauen. Aber so ist die menschliche Natur,
ein erschreckliches wahres Bild des Todes, der die Folge
des Sündenfalles werden sollte, eine wahre Bedeutung der
Beschreibung in Röm. 3,18: ,,Es ist keine Furcht Gottes vor
ihren Augen." Sie hören, sie lesen und sie glauben, daß
tausend andere betrogen werden, aber sie befürchten nicht,
daß sie selbst es möglicherweise auch werden können. Sie
lesen, sie hören die bezeichnenden Merkmale ihres Zustandes,
aber sie schlagen es in den Wind und wenden sich wieder zu
Kleinigkeiten.
Wir erkennen hier die Wahrheit dessen, was Luther sagt, daß
nämlich, ,,wer sich nicht fürchtet, sich mit Grund fürchten
müsse", erschreckt werden müsse. Denn sich nicht zu
fürchten, nicht Argwohn gegen sich selbst hegen zu können,
in einer geheimen, lieben Sünde zu leben und es nicht für
gefährlich zu halten, oder in seiner Frömmigkeit mit sich
zufrieden zu sein, - sieh, das sind finstere Zeichen eines
verborgenen, heimlichen Todes, sind Vorspiele eines ewigen
Jammers. Es ist gerade ein bezeichnendes Merkmal der
rechten, der wahren Christen, daß sie einen Geist der Furcht
haben; sie beargwöhnen sich selbst, sind bange, sich zu
betrügen, sind mit sich selbst unzufrieden; und wenn sie sich
schläfrig und nachlässig fühlen, sind sie gerade darüber am
meisten besorgt. Dieser Geist der Furcht ist auch die rechte
Wachsamkeit und bewirkt, daß das Schaf sich dicht an den
Hirten hält, daß die Küchlein beständig unter den Flügeln
der Henne bleiben, ja, daß die Gläubigen täglich Christi
Gerechtigkeit suchen, sich in dieselbe kleiden und deshalb zu
allen Stunden vor dem Zorn gerettet sind, bewahrt vor allem,
was kommen wird, und zu allen Stunden bekleidet und bereit,
vor dem Menschensohn zu stehen.
Bewahre meine Seel',
O mein Immanuel,
Daß sie nicht träume
Und ja an ihrem Teil
Bei dem erworbnen Heil
Sich nicht versäume.