Mt 15,19
S.Keller
Matth. 15, 19: «Aus dem Herzen kommen arge Gedanken ...»
Heute habe ich darüber nachgedacht: Ist jene häßliche, faule
Stelle in meiner Beziehung zu einem Bruder durch seine Schuld
entstanden oder durch meine? Ein fauler Apfel kann doch an
dem Punkt, wo er an einen gesunden gepreßt ist, diesen auch
bald anstecken. Wochenlang, wenn mir blitzartig das Andenken
an jene Geschichte kam, tröstete ich mich damit: Jener Bruder
hat mich durch seine Lieblosigkeit angesteckt. Er ist
schuld. Ich bin nur ganz äußerlich an der Schale meines
Wesens durch ihn so verletzt worden. Heute beim Bibellesen
wurde ich unruhig. Kam alles Böse wirklich nur von außen an
mich heran, so daß ich mit meinem inneren Herzenszustand
zufrieden sein kann, oder kam der Zorn von innen heraus
und die lieblosen Worte auch? Als ich aber an den Spruch
kam: ,,Aus dem Herzen kommen arge Gedanken ..." war
der schöne Traum von meiner Bravheit und Unschuld jäh
verscheucht, und ich fühlte die Qual: selbst häßlich zu sein!
Das drückt einen alten Christen tief zu Boden. Damit fiel
aber auch der letzte Schein des Rechts dahin, sich über des
andern Fehler zu entrüsten. Ich muß dem Bruder die Hand zur
Versöhnung bieten und mit ihm dem Seelenbade zueilen, wo
Jesus uns beide reinigt.
Herr Jesus, du bist uns zur Reinigung gesetzt, und weil du
mir das Gewissen geweckt hast, bitte ich dich, reinigt mein
Herz von den argen Gedanken in betreff meines Widersachers,
und gib mir die Liebe zu ihm, die du zu ihm hast. Herr, hilf
mir! Amen.