Die Not der Maria in der Weihnachtsgeschichte 

Matthäus 1, 18-20

Wenn wir die Weihnachtsgeschichte nach dem Matthäusevangelium betrachten, so beobachten wir eine stille Not der Mutter Jesu, die manchem lehrreich sein wird.

1. Worin bestand die Not?

Im Herzen Josephs entstand der Verdacht, daß die ein Kind erwartende Maria ihm untreu geworden sei. Nachdem Gott das der Maria angekündigte Wunder (Luk. 1, 31. 35) getan hatte, mußte der ahnungslose Joseph, der von dem göttlichen Geheimnis nichts wußte, den Argwohn hegen, daß ihn Maria betrogen habe.

Welch ein Druck ist solcher Verdacht des Bräutigams für Maria gewesen! Vor Gott wußte sie sich unschuldig, ihr Gewissen war getrost und still. Aber der Gedanke, daß ihr Geliebter das Vertrauen ihr entziehe, war nicht leicht zu tragen.

So können auch treue Christen durch Zeiten hindurchgehen, wo ein ungerechter Verdacht viele Herzen ihnen entfremdet. Auch Paulus hat solches erlebt, als in den galatischen Gemeinden gesetzliche Lehrer ihn verdächtigten und die Christen irremachten (Gal. 5, 10). In den ersten Jahrhunderten litten die Christen oft unter falschen Verdächtigungen, als die Gegner über ihre Versammlungen die schlimmsten und gemeinsten Gerüchte verbreiteten. In allen Jahrhunderten bis in unsere Gegenwart sind Christen als Staatsfeinde abgestempelt worden. Und wer kann aufzählen, was einzelnen Jüngern Jesu alles angehängt worden ist? Nur getrost! Es geht hier»durch böse Gerüchte und gute Gerüchte« (2. Kor. 6, 8). Auch die später hoch gepriesene Maria war in bösem Gerücht.

2. Wie trug Maria ihre Last?

Hier stehen wir vor einer beachtenswerten Tatsache. Warum ging Maria nicht einfach zu Joseph und erzählte ihm ihr tiefstes Geheimnis von der Engelerscheinung, die sie gehabt hatte, und der Verheißung, die ihr gegeben war? Offenbar spürte Maria, daß sie ihr großes Erlebnis jetzt noch nicht ausplaudern durfte. Es gibt Erlebnisse, die Gott seinen Kindern schenkt, die verborgen bleiben müssen.

Wie lange hat z. B. Paulus jene wunderbare Entzückung bis in den dritten Himmel verschwiegen! Vierzehn Jahre war er darüber still (2. Kor. 12, 2-4). Auch Maria schwieg still. Mancher ungeduldige Ratgeber würde ihr ohne Zweifel nahe gelegt haben, den Joseph in das Geheimnis einzuweihen. Aber sie wußte durch das zarte Leiten des Geistes, was sie zu tun hatte. Das Schweigen der Maria bei dem drückenden Verdacht, der auf ihr ruhte, hält uns eine gewaltige Predigt. Es sagt uns: Schweig still und trage die Last, bis Gott dich rechtfertigt!

3. Wie ist die Last von Maria genommen worden?

Als sie selbst schwieg und sich nicht rechtfertigte, hat ein anderer für sie geredet und ihre Ehre wieder hergestellt. Der Herr sandte dem argwöhnisch gewordenen Joseph einen Traum, der jeden Verdacht von Maria hinweg nahm. Der Engel des Herrn sagte ihm: »Joseph, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, dein Gemahl, zu dir zu nehmen; denn das in ihr geboren ist, das ist von dem Heiligen Geist.« Vor diesem Reden Gottes muß zwischen den beiden Brautleuten eine drückende Stimmung vorhanden gewesen sein. Nun war sie behoben.

Gott hat Mittel und Wege, die Seinen zur richtigen Stunde zu rechtfertigen und von bösem Verdacht zu befreien. Wenn eine Martha die Maria für bequem und faul hält, so kann Jesus die Beschuldigte in Schutz nehmen. Sie braucht selber gar nichts hinzuzufügen (Luk. 10, 40-42). Wenn einmal die Seligen droben ihr Loblied singen, dann werden sie auch dafür danken, daß Gott zur rechten Zeit für sie eingetreten ist und sie gerechtfertigt hat. Wir wollen aus der Not der Maria lernen, manche Last still zu tragen, bis der Herr sie selbst von uns nimmt. Dann wird unsere Freude nachher um so größer sein.

A.Christlieb